Im Gehen entsteht der Weg - Impulse christlich-jüdischer Begegnung

Ansprache von Dr. Eva Schulz-Jander, katholische Präsidentin des Deutschen Koordinierungsrates, zur Eröffnung der Woche der Brüderlichkeit, 8. März 2015 in Ludwigshafen


Wir haben uns heute hier versammelt, um die Woche der Brüderlichkeit zu eröffnen. Im Namen des Deutschen Koordinierungsrats der Gesellschaften für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit heiße ich Sie alle herzlich willkommen.

Ich begrüße insbesondere unsere Gastgeber:
die Ministerpräsidentin des Landes Rheinland-Pfalz Malu Dreyer und die Oberbürgermeisterin der Stadt Ludwigshafen, Dr. Eva Lohse.

Ferner begrüße ich den heutigen Laudator,  Landesbischof Dr. Heinrich Bedford-Strohm, Vorsitzender des Rates der EKD.
Den Vorsitzenden des Zentralrates der Juden, Herrn Dr. Josef Schuster, ebenso wie den Vorsitzenden des Zentralrates der Muslime, Herrn  Aiman Mazyek, und den Vorsitzenden des Zentralrats Deutscher Sinti und Roma, Romani Rose wollen wir begrüßen. Exzellenzen Dr. Heinrich Mussinghoff und Dr. Karl-Heinz Wiesemann, Kirchenpräsident Christian Schad,  Präsident des ZDK Alois Glück, Vertreter und Vertreterinnen der christlichen Kirchen, der Jüdischen und muslimischen Gemeinden, der politischen Parteien und der Roma auch Sie heiße ich herzlich willkommen. Ganz besonders herzlich begrüße ich Prof. Dr. Hanspeter Heinz und alle Vertreter und Vertreterinnen des Gesprächskreises „Juden und Christen“ beim Zentralkomitee der Deutschen Katholiken, die heute gemeinsam die Buber-Rosenzweig Medaille erhalten.

Heute ist der 8. März, der Internationale Tag der Frauen. Ein interessanter Zufall, denn Insbesondere Frauen artikulierten immer wieder Kritik an dem Wort „Brüderlichkeit, dem doch eigentlich die Würde und die Gleichberechtigung aller Menschen innewohnt. Aber schauen wir die Welt um uns herum an, so sehen wir, dass der Gedanke der Brüderlichkeit, weit davon entfernt ist, die Welt um uns zu prägen.

Aber liegt es wirklich an dem Wort, dass uns die Spanne zwischen Ideal und Wirklichkeit immer wieder so schmerzhaft bewusst wird? Wäre der Zustand der Welt besser, sprächen wir von „Geschwisterlichkeit“? Ich bezweifele es. Nein, es liegt nicht an dem Wort. Liegt es nicht eher an dem Versagen von Männern und Frauen, der Vision des Wortes Brüderlichkeit näher zu kommen? Blicken wir nach Syrien, Nigeria, Ägypten, Frankreich oder auch auf unser Land, sehen wir Brüder und Schwestern, die einander feind sind, und auch vor Mord nicht zurückschrecken. Es sind unruhige Zeiten, in denen wir leben. Zeiten, in denen Dialogbereitschaft und die Fähigkeit, dem radikal Anderen zuzuhören, verloren scheinen und Kugeln an die Stelle von Worten getreten sind.

Was ist los in Europa, in unserem Land? Auf was für eine Religion beriefen sich die Attentäter von Paris, als sie ihren Propheten Mohammed beleidigt glaubten, Journalisten töteten, und Juden nur weil sie Juden waren? Was für Menschen gehen auf die Straße, um gegen die vermeintliche Islamisierung des Abendlandes zu protestieren? Was ist ihr Bild vom Islam? Was für ein Christentum wollen sie verteidigen? Und wie ist es mit dem Antisemitismus? Er lauert unter der Oberfläche, stets bereit, wie uns die letzten beiden Sommer lehrten, mit ready-made Stereotypen auf die Straße zu gehen.

Wenn wir diese weltweiten Konflikte betrachten werden wir oft gefragt „Ist die Religion nicht an allem schuld?“ Hüten wir uns jedoch vor der Konstruktion von Feindbildern, vor Schuldzuweisungen an „die Anderen“. Die einen rufen, die Muslime sind schuld, islamistische Demagogen rufen die Christen, die Juden, die westliche Zivilisation sind schuld. Mit Religion Feindbilder zu schaffen, spricht gegen die Religion. So wie wir Religion verstehen, lehrt sie uns genau das Gegenteil. Sie lehrt uns andere zu achten, mit ihnen in ihrer Andersartigkeit zu leben. Das Gebot der Nächsten und Feindesliebe steht in der Bibel ebenso wie im Koran.  

Im Gehen entsteht der Weg – Impulse aus Christlich-Jüdischer Begegnung – unser Jahresthema. Ein Thema, das auffordert alte Gewohnheiten und Wege radikal zu prüfen, eine Wende im Denken zu wagen. Insbesondere in diesem Jahr 2015, in dem vier geschichtliche Ereignisse, zwei politische, zwei theologische, sich jähren. Sie können uns heute noch neue Impulse geben.

  1. das Ende des Krieges vor 70 Jahren
  2. die Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland  und Israel vor 50 Jahren 
  3. die Verabschiedung des Konzil Dokuments Nostra Aetate vor 50 Jahren 
  4. und des  Synodalbeschlusses der Ev. Kirche im Rheinland vor 35 Jahren.     

Alle vier Ereignisse waren eine Aufforderung fortan neue Wege zu gehen.

Im völlig zerstörten Deutschland machten Menschen sich auf den Weg eine neue Regierungsform – die Demokratie – aufzubauen. In den 70 Jahren ist sie zu einer soliden Demokratie herangewachsen. Eine politische Kultur die jede Form von Fremdenfeindlichkeit, Antisemitismus und Rassismus vehement ablehnt. Aber Demokratie, muss jeden Tag gelebt werden, um die dunklen Schatten der Vergangenheit zu vertreiben. Die alten Denkmuster – einfache Antworten auf komplexe Probleme – werden wieder öffentlich herausgeschrien. Nicht nur in Dresden folgen Menschen den Demagogen und ihren einfachen Antworten und gefährlichen Feindbildern. Juden und Jüdinnen fühlen sich bedroht in unserem Land, Bürger und Gäste fremder Herkunft werden Opfer von Gewalt. Diesem Ungeist durch Worte und Taten entschieden entgegenzutreten, ist Aufgabe eines jeden von uns. Das ist gelebte Demokratie.

50 Jahre deutsch-israelische diplomatische Beziehungen wären ohne Umdenken nicht möglich gewesen. Persönliche Begegnungen und verlässliches politisches Handeln bauten behutsam Vertrauen und gute Partnerschaft auf. Und dennoch rufen politische Entscheidungen in Israel die Demonstranten auf die Straße mit anti-israelischen, antizionistischen, ja antijüdischen Parolen. Ist es nicht unser aller Aufgabe, die Kluft zwischen offizieller Politik und öffentlich geäußerter Meinung zu schließen?

Theologisch beschritten beide Kirchen neue Wege mit der Verabschiedung zweier bahnbrechender Kirchendokumente -- Nostra Aetate und dem Rheinische Synodalbeschluss. Nach der schmerzhaften, Jahrhunderte währenden Geschichte christlicher Judenfeindschaft fand in der Tat ein radikales Umdenken im Verhältnis zum Judentum statt. Anstelle der jahrhundertealten tradierten Geringschätzung und Abwertung des Judentums, betonen beide Dokumente die enge geistliche Verbundenheit zu ihm. Aber auch dieser Weg ist noch lange nicht zu Ende, es gilt den Geist beider Dokumente stets neu in die Gemeinden und theologischen Fakultäten hineinzutragen. Vor diesem Hintergrund ist es beängstigend und skandalös zugleich, dass es offenbar ernsthafte Bestrebungen in der evangelischen Kirche gibt, das Berliner Institut für Kirche und Judentum, das gemeinsam mit ihrem ehemaligen Leiter Prof. Peter von der Osten-Sacken 2005 die Buber-Rosenzweig-Medaille erhielt, aus finanziellen Gründen zu schließen. Hier würden gebahnte Wege wieder zugemauert! Das dürfen wir nicht zulassen!

Im Gehen entsteht der Weg - Impulse Christlich-jüdischer Begegnung
Wenn wir diese Worte nicht zur leeren Formel, diese Feier nicht zu einen morschen Ritual zerbröckeln lassen wollen, gilt es heute, umzudenken, quer zu denken, ungegangene Wege zu wagen damit unser Traum von einer gerechteren, friedlicheren Gesellschaft für alle Menschen Alltag wird. Und wenn nicht jetzt wann dann? Um die Sprüche der Väter zu zitieren.

In diesem Sinne eröffne ich die Woche der Brüderlichkeit 2015 und verbinde es mit unserem Dank an das Land Rheinland Pfalz, an die Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit Rhein-Neckar und an die Stadt  Ludwigshafen für ihre Unterstützung und Gastfreundschaft.