UM GOTTES WILLEN - Christlich-jüdische Gemeinschaftsfeier

Begrüßung und Eröffnung der christlich-jüdischen Gemeinschaftsfeier durch Landesbischof Ralf Meister, 5. März 2016 in der Neustädter Hof- und Stadtkirche, Hannover


Sehr geehrter Herr Landesrabbiner Dr. Henry Brandt, lieber Bischof Norbert Trelle, liebe Schwestern und Brüder jüdischen und christlichen Glaubens!

Seien Sie herzlich willkommen zur jüdisch-christlichen Gemeinschaftsfeier in der Neustädter Kirche in Hannover.

Für manch einen wie den Landesrabbiner ist es ein Wiedersehen mit vielen, mit denen er von 1983 bis 1995 den christlich-jüdischen Dialog in dieser Stadt vorangebracht hat. Vieles, was uns im jüdisch-christlichen Miteinander heute selbstverständlich erscheint, hat einen Weg von Jahrzehnten hinter sich. Und Jahr um Jahr sammeln sich viele von denen, die an den kleinen Schritten mitgearbeitet haben, sie behutsam versucht, sie bemüht gepflegt, sie mutig voran gebracht haben.

In Hannover zusammen zu kommen bindet uns an symbolische Bilder für das jüdisch-christliche Verhältnis. Symbolische Bilder der Vernichtung aber auch der neuen Verständigung. Bis heute gilt das Bild der brennenden neuen Synagoge an der damaligen Bergstrasse als ein grausames Symbol für die Vernichtungspolitik der Nationalsozialisten. Die Synagoge, in den Dienst genommen 1870, wie man sagte eine „Perle der hannoverschen Architektur“, brannte in der Reichspogromnacht am 10. November in den Morgenstunden völlig aus. Die durchgebrannte Kuppel im Feuerschein ist eines der am häufigsten abgedruckten Fotos dieser Terrornacht.

Doch zugleich gibt es Bilder, Symbole, die auch für eine neue Form der Verständigung stehen. Dazu gehören für mich zwei Synagogen in Hannover, die bis vor wenigen Jahren als evangelische Kirchen genutzt wurden. Vermutlich die einzige Stadt in Deutschland, wo zwei jüdische Bet-und Lehrhäuser einstmals Kirchen waren. Dass dieses wie eine Selbstverständlichkeit erscheint, ist wohl das stärkste Zeichen einer vertrauten und guten Gemeinschaft zwischen Christen und Juden.

Und ein anderes Symbol der Verständigung erfreut uns immer wieder und heute ebenso. Das ist der Europäische Synagogalchor vom Europäischen Zentrum für jüdische Musik hier aus Hannover. Man darf mit Stolz erzählen, dass es eine Selbstverständlichkeit ist, dass es am 9. November neben dem Gedenken in den Synagogen auch immer ein Konzert des Synagogalchors mit Andor Izsák in der Marktkirche gibt.

Die tiefe Zertrennung und die behutsame Annäherung - Hannover trägt Zeichen von beidem in seiner Stadtgeschichte.

Mir ist es wichtig solche Zeichen der Annäherung zu haben. Es sind Beispiele der Hoffnung. Denn wohin soll man den Kopf wenden in Tagen wie diesen, in denen – um Gottes Willen - uns Bilder von Krieg und Vernichtung, Flucht und Verfolgung all überall anblicken. Gibt es Zeichen der Zuversicht? Mühsam bleibt der Mensch Suchender seiner Bestimmung. Da kann „um Gottes Willen“ schnell eine Bitte um Freispruch sein oder – im Gegensatz dazu - auch der Ruf nach der Rettung der Welt.

Christen hören in diesem Satz – allzumal in der Passionszeit - die Worte Jesu am Kreuz: „Vater, willst du, so nimm diesen Kelch von mir, denn nicht mein, sondern dein Wille geschehe.“ Lk 22,42
Diese Ambivalenz, die in den wenigen Worten „um Gottes Willen“ liegt, wird die Woche der Brüderlichkeit durchziehen.

Um Gottes Willen stellt uns nicht frei von Verantwortung, sondern bindet uns gerade an seine Gebote. Juden wie Christen folgen in ihrem Leben Gottes Willen. In den Gebeten des ehemaligen UNO-Generalsekretärs Dag Hammarskjöld findet sich 1956 ein Gebet, in dem es heißt:

„denn mein Geschick ist es, gebraucht und verzehrt zu werden nach deinem Willen.“

Niemandem gehen solche Worte leicht über die Lippen. Für viele Menschen wäre es sogar eine undenkbare Einschränkung ihrer persönlichen Selbstbestimmung. Für fromme Menschen, Juden wie Christen und auch Muslime sind sie der kritische Maßstab, dass nicht sie, sondern Gott ihr Leben lenkt und fügt. Nicht in Willkür, sondern in Treue und Verlässlichkeit. Nicht maßstabslos, sondern gebunden an Gebote und Maßstäbe. Nicht in Weltfremdheit, sondern in wacher Wahrnehmung der Not der Welt und der geschändeten Würde des Menschen. „Er wird dich mit seinen Fittichen decken und Zuflucht wirst du haben unter seinen Flügeln. Seine Wahrheit ist Schirm und Schild, dass du nicht erschrecken musst vor dem Grauen der Nacht...“ Ps 91,4

Momentan erleben wir – immer noch – ein unglaubliches Bewusstsein von der notwendigen Hilfe für Menschen, die in Not sind. Es scheint, als ob in der Hängematte der Grundbequemlichkeit eine Sinnleere sich ausgebreitet hatte, die durch das Ankommen der Flüchtlinge fruchtbar gestört worden ist. Ein Sinnhorizont öffnet sich: Es lohnt sich, seinem Leben in dieser Welt, die seit über siebzig Jahren eine Welt des Friedens, der sozialen Gerechtigkeit und der gesellschaftlichen Höchstversorgung ist, einen tieferen Zusammenhang zu stiften. Ein Zusammenhang, der nicht nur individuell, sondern gemeinschaftlich ist, der nicht in persönlicher Gesinnung, sondern in sozialer Verantwortung begründet ist. Anders ist für mich die soziale Bürgerbewegung in Deutschland des Jahres 2015 und auch im Winter 2016 nicht zu verstehen.

Diese Geste ist für mich ein Ausdruck einer Kultur der Barmherzigkeit, die ihre Ursprünge in den Erzählungen und Geboten unserer Religionen hat. Und ihren tiefsten Kern zeigt sie gerade darin, dass sie nicht persönliches Wohlbefinden steigern will oder sich aus der Verantwortung stiehlt, sondern erkennt.

Uns gilt noch etwas. Das Gebet von Dag Hammerskjöld endet mit dem Zitat aus Psalm 27.

„Ich aber bin gewiss, zu schauen
die Güte des Herrn im Land der Lebenden.
Hoffe auf den Herrn, und sei stark!
Hab festen Mut, und hoffe auf den Herrn“.
Und er fügt hinzu:
„Mit dir: in Treue und Mut,
nein – in Selbstbeherrschung, Treue und Mut.“