Integration – aber wie?

Grusswort von Oberbürgermeister Stefan Schostok (Hannover) beim Treffen zwischen Vertretern der Deutschen Bischofskonferenz, des Rates der EKD, der Allgemeinen Rabbinerkonferenz Deutschlands und der Orthodoxen Rabbinerkonferenz Deutschlands am 7. März 2016 in Hannover


Integration ist ein jahrtausendealtes Thema.  Menschen wurden und werden aus ihrer Heimat vertrieben oder flüchten aus Angst vor Diskriminierung, Folter und Tod. In unserer säkular geprägten Zeit – dabei spreche ich in erster Linie von unserem modernen Europa – ist bis vor Kurzem noch kaum vorstellbar gewesen, dass im Namen der Religion menschenverachtendes Unheil verübt wird und das direkt vor der Haustür. Uns allen sind die grausamen Bilder von den jüngsten Attentaten in Paris noch vor Augen. Willkürlich wurden Menschen ermordet und das im Namen der Religion. Hier wurde Religion missbraucht, um eigene fanatische Ideologien zu rechtfertigen. An dieser Stelle war es der Islam – in Form des IS. Millionen von Menschen auf der ganzen Welt gehören dem Islam an und wir alle wissen, dass Terror und Mord zu keiner Religion gehören. Deshalb ist es wichtig, dass wir nicht pauschalisieren. Wir dürfen nicht ganze Religionen verurteilen, wenn nur wenige für den Terror verantwortlich sind.

In der Landeshauptstadt Hannover leben Menschen aus vielen verschiedenen  Ländern und  Kulturen. Sie alle bringen Traditionen, Erfahrungen und Einstellungen mit. Rund 5.000 Menschen aus 60 verschiedenen Nationen suchen derzeit Zuflucht und Asyl in der Landeshauptstadt Hannover. Frauen, Männer und Kinder, die ihr Heimatland verlassen haben, um bei uns menschenwürdig zu leben. Es ist unsere menschliche Pflicht, diesen Menschen Obhut zu geben und sie in unserer Gesellschaft aufzunehmen. Die derzeit große Anzahl der Flüchtlinge stellt eine enorme Herausforderung dar, die nur von der gesamten Gesellschaft zu tragen ist.

Wir müssen Fremde zu Freunden werden lassen, indem wir ihnen die Teilhabe an unserer Gesellschaft ermöglichen. Integration funktioniert aber nur, wenn wir die Anderen verstehen und ihre ethnischen Hintergründe und Schicksale kennen. Das geschieht zuerst in unseren Köpfen und dann im täglichen Zusammenleben. Wir haben in Hannover eine vorbildliche Einrichtung, die sich der Verständigung zwischen den Religionen widmet und damit einen bedeutsamen Beitrag für ein positives Miteinander in unserer Stadt und auch darüber hinaus leistet.

Das Haus der Religionen. Im Haus der Religionen in Hannover kommen seit über zehn Jahren Christen, Juden, Muslime, Hindus, Buddhisten und Bahai zusammen. Hier begegnen sich die Religionen auf Augenhöhen und mit dem Willen für ein friedliches Miteinander. Das Haus der Religionen ist eine erstklassige Adresse für gelebte Völkerverständigung. Das hat sich auch über die Grenzen der Landeshauptstadt herumgesprochen. Im Dialog wird hinterfragt, erlebt und die Menschen entwickeln sich weiter. Hier wird auch darauf geachtet, dass alte Kulturen und Traditionen nicht aufgegeben werden, sondern einen Platz in unserer Gesellschaft finden. Im vorletzten Jahr erhielt das Haus die hohe Auszeichnung  „Deutschland – Land der Ideen“, die gemeinsam von der Bundesregierung und der deutschen Industrie vergeben wird. Wir sind sehr stolz, dass diese hervorragende Einrichtung in der Landeshauptstadt beheimatet ist. Und mir liegt es am Herzen, die Grundlagen für ein offenes Miteinander der Menschen in Hannover zu schaffen, das ist nicht einfach - aber auch nicht unmöglich.

Die Vergangenheit und die Gegenwart lehren uns, dass der Dialog zwischen den Religionen ein wichtiger und ständiger Prozess sein muss. Wir dürfen nicht wegsehen oder schweigen, wenn Einzelne oder Gruppen diskriminiert und ausgegrenzt werden. Es ist unsere Pflicht, gegen jede Art von Rassismus und Antisemitismus vorzugehen. Dafür steht auch die Landeshauptstadt Hannover. Das geschieht auf mannigfaltige Art und Weise. Neben den städtischen Angeboten sind Projekte und Hilfen von Unternehmen, Organisationen und Vereinen wichtige Stützen bei der Integration von Flüchtlingen.
Selbstverständlich verschließe ich nicht die Augen vor den Vorfällen an Silvester in Köln oder Hamburg. Die Verbrechen, die dort begangen wurden, müssen geahndet werden und auch öffentlich kommuniziert werden. Niemand darf in Deutschland aufgrund seines Geschlechtes, seiner Kultur oder seiner Religion diskriminiert werden.

Schauen wir auf unsere NS-Vergangenheit zurück und den Terror und die menschenverachtenden Verbrechen an der jüdischen Bevölkerung, so können wir heute dankbar auf eine stabile und freundschaftliche Zusammenarbeit zwischen Christen und Juden in unserer Stadt blicken.  

Hannover vereint ein reiches jüdisches Leben. Hier gibt es drei jüdische Gemeinden, ein orthodoxes Gemeindezentrum, das Zentrum für europäische Jüdische Musik und die Jüdische Bibliothek Hannover. Das ist für eine Stadt unserer Größe durchaus bemerkenswert. Darauf sind wir sehr stolz. All diese Gemeinden und Einrichtungen tragen zu einem offenen und toleranten Austausch mit Juden und anderen Glaubensrichtungen bei. Sie tragen zu einer gelebten und auf Dauer ausgerichteten Völkerverständigung bei.

Für die Zukunft wünsche ich mir, dass wir auch mit den Muslimen verstärkt in einen engen Austausch treten und gemeinsam an der großen Aufgabe der Integration arbeiten. Nicht im zweidimensionalen Kontext, sondern auf multi-religiöser Ebene. Es ist eine Bereicherung für die persönliche interkulturelle Entwicklung eines jeden Menschen, wenn wir uns mit anderen Religionen und deren Traditionen beschäftigen. Dadurch ergibt sich ein gegenseitiges Verständnis und es ist die Basis für einen würdevollen Austausch.

Nicht wegsehen, sondern sich engagieren, lautet unser Motto bei der Integration. Eigene Werte bewahren und offen und tolerant anderen Kulturen gegenüberstehen.

Verehrte Vertreter der jüdischen und christlichen Kirchen, ich freue mich sehr, dass Sie sich heute mit den verschiedenen Aspekten der Zuwanderung und Integration auseinandersetzen und bin bereits auf ihre Erkenntnisse gespannt.