Themenheft online 2015: "Im Gehen entsteht der Weg. Impulse christlich-jüdischer Begegnung"

Facebook – Eine Schöpfung Gottes

Von Alexia Weiss

 

Rotwein in Maßen sei gesund und auch dunkler Schokolade werden gesundheitsfördernde Eigenschaften zugeschrieben. Es ist die alte Frage: wieviel kann ich konsumieren, ohne dass ich mir, meinem Körper schade, im Gegenteil, vielleicht sogar einen positiven Nutzen für meine Gesundheit erziele?

Der Einführung neuer Medien ging von jeher die Sorge voraus, die Menschen könnten durch deren Konsum nachhaltig geschädigt werden – ob es nun Radio, Fernsehen oder, aktueller, das Internet waren. Letzteres hat die sozialen Netzwerke hervorgebracht, von denen sich vor allem eines nun doch schon eine Weile hält: Facebook. Hier kann jeder posten, was er möchte - mit geringen Einschränkungen, etwa was Pornographie betrifft. Nach Vorgaben der Facebook-Macher darf man sich hier auch nicht rassistisch oder antisemitisch austoben, allerdings greifen die Kontrollmechanismen (zum Beispiel das Melden durch andere User) manchmal sehr langsam und teils auch gar nicht.

Warum es in frommen jüdischen Familien nicht gerne gesehen wird, wenn sich die Kinder in sozialen Netzwerken tummeln? Hier kann alles diskutiert werden, hier gibt es freizügige Fotos und niemand hat hundertprozentig Kontrolle darüber, was an seiner Wall erscheint. Selbst wenn man ausschließlich einen gleich geschalteten Freundeskreis addet – spätestens mit den Werbeeinschaltungen ist man vielleicht mit Inhalten konfrontiert, die nicht den eigenen Wertevorstellungen entsprechen.

Umso mehr hat es mich erstaunt, kürzlich in der "Jüdischen Allgemeinen" eine Empfehlung von religiöser Seite für Facebook- Konsum zu lesen. Jakov Pertsovsky studiert am orthodoxen Rabbinerseminar Berlin. Das Netzwerk verbinde Menschen, erneuere alte und begründe neue Freundschaften, betont er. Es gebe zwar Diskussionen auch über die negativen Seiten, eben, dass manchmal falsche moralische Botschaften vermittelt würden. Auch das Schamgefühl scheine durch Facebook vermindert worden zu sein. Und dennoch kommt er zu dem Schluss: Facebook könne eben auch von Nutzen sein, denn hier würden gute Werte ebenfalls vermittelt.

Was mich fasziniert, ist Pertsovskys Argumentation. Er setzt sich in dem Beitrag mit Askese auseinander und wie sie im Judentum bewertet wird. Wie oft haben Sie schon von jüdischen Asketen gehört? Nein, sie sind nicht weit verbreitet. Im Talmud wird die Geschichte von einem Kohen namens Schimon HaZadik erzählt, der einmal einem Nasir begegnet ist. Darunter versteht man einen Menschen, der sich bestimmten weltlichen Genüssen entzieht. Dieser Nasir ließ sich die Haare nicht mehr schneiden – um seine Schönheit zu verdecken, von der er selbst so angetan war, dass er sich in sein Spiegelbild verliebte und überheblich wurde.

Durch diesen Entschluss sei er wie ein Heiliger zu behandeln, betont der Kohen in der Geschichte – und gleichzeitig aber auch als Sünder. Denn wer etwas entsagt, entziehe sich den Schöpfungen Gottes. Im Judentum vertritt man die Meinung, dass Gott alle Dinge dieser Welt geschaffen hat, damit der Mensch sie genießt. Soll heißen: es ist zwar gut, wenn der Nasir mit den langen Haaren erkennt, dass er falsch handelt, es wäre aber besser, er bräuchte dazu nicht eine Selbsteinschränkung, um diese Erkenntnis in sein Handeln umzusetzen.

Zurück ins Heute und die Welt der neuen Medien: "Auch Facebook ist eine Schöpfung von G‘tt", schreibt der Rabbiner in spe (G’tt ist die orthodoxe Schreibweise für Gott). Und er meint weiter: "Wie viele andere Dinge kann ihre Nutzung für uns und unsere Kinder Vor- und Nachteile haben. Es werden unterschiedliche Bilder und Posts ausgetauscht und für den Freundeskreis oder die ganze Welt sichtbar gemacht. Diese vermitteln Werte, gute Werte, aber auch Werte, die moralisch nicht vertretbar sind. Unsere Kinder aber sollten wir so erziehen, dass wir auch diese Schöpfung genießen können und sie so nutzen, dass sie unser Leben nur positiv beeinflusst und bereichert." Auf den richtigen Umgang kommt es also an.

Mit freundlicher Genehmigung: Wiener Zeitung, 13.06.2014
Alexia Weiss ist Journalistin und Autorin.


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