Ein schwieriges Verhältnis? Die evangelische Kirche und der Staat Israel
"Ein schwieriges Verhältnis? Die evangelische Kirche und der Staat Israel"
Präses Nikolaus SchneiderAlan Posener
Vortrag auf der Tagung des Deutschen Koordinierungsrates der Gesellschaften für christlich-jüdische Zusammenarbeit gemeinsam mit der Deutsch-Israelischen Gesellschaft, Berlin, 17. Januar 2012
Sehr geehrte Damen und Herren,
aus meiner persönlichen Perspektive werde ich zu Ihnen sprechen. Das Gesagte ist also nicht abgestimmt worden, es fehlt ihm das Gewicht von Beschlüssen. Das aber erleichtert die Positionierung und die klare Sprache.
Nein, ich halte das Verhältnis der evangelischen Kirche zum Staat Israel nicht für grundsätzlich schwierig. Das gleich vorweg gesagt. Gestört wird das Verhältnis allenfalls durch die Komplexität der Erwartungen wie auch durch manche Unterstellungen, die diesem Verhältnis beigelegt werden. Lassen Sie mich deshalb in vier Schritten erläutern, was aus meiner Sicht zum Verhältnis der evangelischen Kirche zum Staat Israel heute zu sagen ist.
Christliche Faszination für das "Heilige Land" - vor 1948
Um das Verhältnis von uns Protestanten zum heutigen Staat Israel einordnen zu können, muss man zunächst in der Geschichte deutlich weiter zurückgreifen. Das "Heilige Land", Schauplatz der biblischen Erzählungen, hat auf Christinnen und Christen seit jeher eine besondere Faszination ausgeübt. Noch heute zeugen zahlreiche Kreuzfahrerburgen im Nahen Osten von den oftmals sehr brutalen und gewalttätigen Auswirkungen dieser Begeisterung für das "Heilige Land". Die grundsätzliche Faszination für das "Heilige Land" hat sich auch nach den mittelalterlichen Kreuzzügen im Zeitalter der Reformation nicht abgeschwächt, wenn sie auch anders gelebt wurde. Seit 1525 in einer Zwingli-Bibel zum ersten Mal eine Karte zusammen mit dem biblischen Text abgedruckt worden war, fanden biblische Kartenbeigaben im 16. Jahrhundert und seither rasante Verbreitung. [1]
Wer einmal Gelegenheit hat, in unser schönes Rheinland zu kommen, kann in der neuen Dauerausstellung der "Begegnungsstätte Alte Synagoge Wuppertal" einen Druck aus dem Jahr 1735 bewundern, der die über viele Jahrhunderte hinweg ganz überwiegend vorherrschende Interpretation der Landkarten Palästinas illustriert: Einer Gesamtausgabe von Josephus Werken ist die Abbildung der Tempelzerstörung vorangestellt. Im Vordergrund erstrahlt Eccclesia im himmlischen Licht, triumphierend über den in Gottes Strafgericht brennenden jüdischen Tempel. Die Juden, so die Lesart, hatten ihr Land 70 n. Chr. endgültig verloren, weil sie Gott untreu geworden waren und seinen Messias nicht anerkannten. Der Tempel zerstört, das Land verloren - Gottes Gericht offenbarte sich in der Geschichte, so die weitestgehend einhellige und kaum angefochtene Überzeugung bis weit ins 20. Jahrhundert, nicht nur auf protestantischer Seite.
Die Errichtung des modernen Staates Israel 1948 führte dementsprechend zunächst zu einer weitgehenden Sprachlosigkeit der Kirche: Die herkömmliche Lesart wurde plötzlich durch den Lauf der Geschichte durchkreuzt und es begann die Suche nach einem neuen Paradigma: Wie ist die jüdische Präsenz im "Heiligen Land" nach 2000 Jahren Exil zu deuten? Karl Barth war wohl der erste, der zumindest das Erstaunen über diese neue Situation prägnant zum Ausdruck gebracht hat, als er 1950 über den noch jungen Staat Israel schrieb: "Da sind sie wieder, da sind sie noch; sie, dieser merkwürdige, repräsentierende Rest von Israel. Es sollte nicht so sein, es war offenbar im Jahr 70 [...] nicht so gemeint, daß die Juden als Juden nicht mehr da sein oder doch nicht mehr sichtbar sein sollten. Sie waren es immer. Sie sind es noch heute und nun also heute, unmittelbar nach der scheinbar furchtbarsten, scheinbar dem äußeren Umfang nach alles Frühere in den Schatten stellende Katastrophe ihrer Geschichte erst recht." [2] Der, wie Barth weiter schreibt, "so überraschend aus der Sprache der Bibel und der Kirche [---] plötzlich wieder in die Zeitung übergegangene Name jenes neuen Staates" [3] Israel wurde 1948 also zur Herausforderung für die Theologie, die ihr klassisches Denkmuster, demzufolge das Gericht Gottes über die Juden in deren Vertreibung aus dem "Heiligen Land" gleichsam historisch bestätigt worden war, nicht mehr in der Geschichte abgebildet fand.
Die völkerrechtliche Basis für die Gründung Israels - Israel als säkularer Staat
Die Errichtung des Staates Israel setzte die UN-Resolution 181 vom 29. November 1947 um, die das britische Mandatsgebiet Palästina zweigeteilt hatte, und zwar in einen "jüdischen" und in einen "arabischen Staat". Hier, in dieser Resolution der UN-Generalversammlung, liegt die völkerrechtliche Basis für den heutigen Staat Israel. Mit theologischen Einsichten oder religiös geprägten Perspektiven hat das gar nichts zu tun. Das moderne Israel ist ein säkularer Staat, dessen Existenzberechtigung durch einen demokratischen Beschluss der Völkergemeinschaft und nicht durch eine theologische Interpretation entschieden worden ist. Wie jeder andere Staat auch, hat der moderne Staat Israel zunächst eine völkerrechtliche und keine theologische Qualität.
Die Gründung Israels, wie auch die bis heute nicht umgesetzte Gründung eines arabisch-palästinensischen Staates, standen dabei im Zusammenhang zahlreicher völkerrechtlich verbindlicher Beschlüsse, die nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges in Afrika, Asien und Europa neue Staaten bzw. neue Grenzen für alte Staaten legitimiert haben. Zur Befriedung des "Heiligen Landes" votierte die UN nach Jahrhunderten europäischer und osmanischer Kolonialherrschaft 1947 in diesem Zusammenhang für einen souveränen "jüdischen Staat" an der Seite eines souveränen "arabischen Staates". [4]
Auch die biblischen Landverheißungen sind, wenn wir über den modernen Staat Israel reden, zunächst nur insofern von Bedeutung, als sie uns als historische Quellen die bis in die Entstehungszeit der Texte zurückreichende Verbindung des jüdischen Volkes mit diesem Land belegen. [5] Wie bei jedem anderen modernen Staat auch liegt Israels Existenz nicht in Glaubenszeugnissen begründet, sondern in völkerrechtlich gültigen Entscheidungen. "Eine religiöse Überhöhung des Staates Israel", hat die EKD daher in ihren Studien zur Thematik sehr deutlich gesagt, "ist theologisch unzulässig und gefährdet die Bemühungen um einen friedlichen Interessenausgleich zwischen den Bürgern Israels und seinen arabischen Nachbarn." [6]
Der Staat Israel hat aus protestantischer Sicht, so ist zunächst also festzuhalten, dieselbe Funktion und Qualität wie jeder andere Staat auch, nämlich "Schutzgehäuse" für seine Bürgerinnen und Bürger zu sein. Der Staat Israel "ist das Schutzgehäuse, das einem Teil [---] des jüdischen Volkes eine selbstbestimmte Existenz zu sichern hilft." [7] Und es waren vor allem säkular-jüdische Bewegungen, Organisationen und Parteien, die den Staat Israel gegründet und aufgebaut haben. Sie handelten aus politischen Motiven.
Unter dem Eindruck konkreter Existenzbedrohung für den Staat Israel, an der sich tragischer Weise bis heute nicht genug geändert hat, hat u.a. der spätere rheinische Präses Karl Immer 1967 die besondere Verantwortung von uns Deutschen, die wir dabei für den Staat Israel im Raum der Völkergemeinschaft haben, folgendermaßen beschrieben: "Wir Deutsche, die wir in schrecklicher Weise an Israel schuldig geworden sind, haben eine Mitverantwortung für den Staat Israel als die letzte Heimat vieler Menschen, die aus unserem Land stammen und dem von uns Deutschen ins Werk gesetzten Völkermord an den europäischen Juden entronnen sind." [8]
Der (säkulare) Staat Israel in protestantisch-theologischer Perspektive
Es ist das Verdienst von Karl Barth, für die protestantische Ethik und für die Verhältnisbestimmung von Kirche und Staat eine grundlegende Differenzierung eingeführt zu haben: Als Christinnen und Christen leben wir in der "Bürgergemeinde", d.h. in den staatlichen Strukturen. Dennoch sind wir aber zugleich als "Christengemeinde" auch Träger einer besonderen Perspektive, die im Raum der "Bürgergemeinde" nicht ohne Weiteres geteilt wird. Im Raum der Bürgergemeinde, so Barth, können theologische Argumente kein Bestandteil der in ihr aufgerichteten Rechtsordnung sein, weil diese Argumente nur von denen angenommen werden können, die auch ihre Voraussetzung teilen, nämlich die theologische Perspektive mit dem Bezug auf Gott. [9]
Diese Unterscheidung zwischen einer notwendigerweise unterschiedlichen Argumentation im Raum der Bürgergemeinde und im Raum der Christengemeinde ist nun auch in Bezug auf das protestantische Verhältnis zum Staat Israel anzuwenden: [10] Innerhalb der Völkergemeinschaft (d.h. in der Bürgergemeinde), ist, wie bereits dargelegt, zunächst auf die völkerrechtlich gültige Begründung des Staates Israel zu verweisen. Dem widerspricht nicht, dass wir im Bereich unseres theologischen Nachdenkens darüber hinaus auch theologische Aussagen über den Staat Israel zu machen haben, die aber im Bereich der Bürgergemeinde keine Anerkennung beanspruchen können.
Folgende drei Aspekte unseres Verhältnisses als evangelische Kirche zum Staat Israel scheinen mir dabei aus theologischer Sicht besonders relevant:
Die Bedeutung des Landes Israels für jüdisches Selbstverständnis
Für uns Christinnen und Christen ist der Staat Israel nicht nur ein Staat wie jeder andere, und zwar weil er für Jüdinnen und Juden mehr ist als nur ein Staat unter vielen. Mit der Erkenntnis unserer besonderen Verbundenheit zum jüdischen Volk ist notwendigerweise "auch der Staat Israel als eine besondere Größe qualifiziert", [11] da das Land Israel von grundlegender Bedeutung für jüdisches Selbstverständnis und jüdische Identität ist.
Die Bedeutung des Landes Israel für jüdische Identität lässt sich dabei in zweifacher Hinsicht konkretisieren: Zum einen ist das Land Israel der Lebensraum, in dem sich ein wichtiger Teil des Lebens des Volkes vollzogen hat. Biblisch gesehen gibt es kein anderes Thema, das sich so sehr durch die ganze Geschichte des biblischen Israel hindurchzieht wie das Thema "Land" [12]. Aber auch in nachbiblischer Zeit verweist die kontinuierliche jüdische Präsenz im "Heiligen Land" auf den grundlegenden Zusammenhang von Volk und Land, von "am israel" und "eretz israel". Zum anderen ist das Land durch die biblische Überlieferung aber auch zum Gegenstand von Zukunftserwartungen und Hoffnungen geworden [13]. Das für jüdische Identität prägende Nebeneinander von Land Israel und Diaspora erklärt sich nur vor diesen beiden wechselseitig aufeinander bezogenen Zusammenhängen.
Unter den heutigen politischen Bedingungen erscheint dabei die staatliche Verfasstheit Israels als die einzige realistische Möglichkeit für das jüdische Volk, seine Verbindung zum Land Israel selbstbestimmt verwirklichen zu können. Solange dies der Fall ist, stehen wir als Christinnen und Christen (und zwar nicht nur in Deutschland) in Solidarität mit dem Staat Israel, für dessen Existenz wir einzutreten haben. [14]
Es darf dabei nicht außer Acht gelassen werden, dass auch für einen in der Diaspora lebenden Juden, wie beispielsweise Ignatz Bubis, seligen Angedenkens, der als Vorsitzender des Zentralrats der Juden ganz selbstverständlich Deutscher war, dennoch der Staat Israel eine besondere Bedeutung gehabt hat. Dass sich Bubis in Israel und nicht in Deutschland beisetzen ließ, sollte jedenfalls daran erinnern, dass auch für das jüdische Volk in der Diaspora der Staat Israel nie ein Staat wie jeder andere sein kann. Auch für uns Protestanten kann der Staat Israel daher kein Staat wie jeder andere sein. [15]
"Zeichen der Treue Gottes"
Nochmals komme ich auf Karl Barth zurück, der neben der "Geschichte der Kirche" schließlich auch "die Geschichte der Juden" als "Zeichen und Zeugen" dafür benannt hat, "daß auch das allgemeine Weltgeschehen tatsächlich von [---] dem regiert wird, der [...] 'Gott' heißt." [16] Betrachtet man die Geschichte der Kirche oder die Geschichte des jüdischen Volkes aus einer anderen als der dezidiert theologischen Perspektive heraus, so "werden und müssen [---] sie als Zeichen und Zeugen bestimmt übersehen werden." [17] Als Christinnen und Christen nehmen wir nun aber Gott in Anspruch, um "unter der Voraussetzung seines unbestreitbaren Daseins [...] unsere Erfahrungen in und mit der Welt zu interpretieren." [18] Von der Geschichte der Kirche und von der Geschichte des jüdischen Volkes als "Zeichen und Zeugen" für Gottes Wirken in der Welt zu sprechen, betreibt dabei gerade keine Geschichtstheologie, erhebt nicht die Geschichte zur Offenbarung, sondern nimmt vielmehr umgekehrt die Offenbarung für die Interpretation der Geschichte in Anspruch. [19]
Genau in dieser Linie theologischer Interpretation hat die Synode unserer rheinischen Kirche 1980 von der Erkenntnis gesprochen, dass für uns nach der Shoa "die fortdauernde Existenz des jüdischen Volkes, seine Heimkehr in das Land der Verheißung und auch die Errichtung des Staates Israel Zeichen der Treue Gottes gegenüber seinem Volk sind." Auch wenn diese Formulierung immer wieder missverstanden worden ist und wir gerade in letzter Zeit immer wieder heftig dafür angegriffen werden, auch im Rheinland selbst: Die Errichtung des Staates Israel als Ausdruck des Überlebens des jüdischen Volkes nach der Shoa kann als "Zeichen der Treue Gottes" interpretiert werden, ohne den Staat Israel dadurch religiös zu überhöhen. Die zahlreichen Kritiker dieser Formulierung irren mit ihren Unterstellungen hier immer wieder. [20] Der Terminus "Zeichen" ist nämlich zunächst ein kritischer Begriff im Sinne von "nur Zeichen": "Der Synodalbeschluss wehrt sich damit gegen eine falsche und theologisch nicht gerechtfertigte [---] Eschatologisierung des Landes und Staates Israel [---], was eine nahezu völlige Bejahung der jeweiligen Politik des Staates Israel zur Folge hätte." [21] Andererseits ist der Begriff "Zeichen" aber durchaus auch affirmativ zu verstehen, und zwar im Sinne von "immerhin doch auch Zeichen". Die Rede von einem "Zeichen der Treue Gottes" wehrt sich gegen ein rein spiritualisiertes Verständnis aller Verheißungen für Israel und für die Völker. [22]
Über die Frage, ob sich in der Errichtung des Staates Israel dabei biblische Verheißungen erfüllt haben, ist damit wohlgemerkt noch keine Aussage gemacht. Mir scheint auch, diese Frage könnten nur Jüdinnen und Juden stellen und für sich beantworten. Als Nichtjuden würden wir mit dieser Frage "wieder die Juden zum Gegenstand unserer theologischen Betrachtung machen von einem scheinbar überlegenen Standpunkt aus." [23]
Die Aufgabe des Staates "für Recht und Frieden zu sorgen" (Barmen V)
In der Barmer Theologischen Erklärung von 1934 heißt es in These 5: "Die Schrift sagt uns, daß der Staat nach göttlicher Anordnung die Aufgabe hat, in der noch nicht erlösten Welt [---] nach dem Maß menschlicher Einsicht und menschlichen Vermögens unter Androhung und Ausübung von Gewalt für Recht und Frieden zu sorgen." - Diese Aufgabe, für ein größtmögliches Maß an "Recht und Frieden" zu sorgen, verpflichtet den Staat Israel wie auch allen anderen Staaten gleichermaßen. An diesem Kriterium gemessen müssen wir uns aus protestantischer Sicht immer wieder entsetzen über das Versagen der palästinensischen Autonomiebehörde, über die Aggressivität der Hamas im Gaza-Streifen, über die Regierungen der arabischen Staaten im Nahen Osten, aber leider auch über die gegenwärtige Regierung Israels.
Es erfüllt mich mit großer Sorge, wenn neben vielen anderen der ehemalige israelische Botschafter in Südafrika kürzlich in einem Leitartikel in der Süddeutschen Zeitung davor gewarnt hat, dass die gegenwärtige Regierung unter Netanjahu immer mehr Gesetze verabschiedet, die den demokratischen Charakter des Staates Israel bedrohen. Konkret verweist Alon Liel auf erschreckende "Parallelen zum Apartheidsstaat", wenn in Israel ein vorgelegter Gesetzentwurf verabschiedet werden soll, der Menschenrechtsgruppen massiv in ihrer Arbeitsmöglichkeit einschränken würde [24]. Um hier nicht missverstanden zu werden: Den Staat Israel mit dem Apartheidsregime Südafrikas zu vergleichen halte ich nicht nur wegen der damit verbundenen Polemik für nicht hilfreich, sondern ich halte einen solchen grundsätzlichen Vergleich für schlicht falsch. Israel ist kein Apartheidsstaat. Umso mehr müssen allerdings einzelne Gesetzesinitiativen in der Knesset beunruhigen und auch deutlich kritisiert werden, die die jetzige Regierung in jüngster Vergangenheit eingebracht hat und die zum Teil auch schon durchgesetzt wurden, die in ihrem Charakter anti-demokratisch genannt werden müssen: Das Verbot der Erinnerung an die sog. "Nakba" muss hier ebenso erwähnt werden, wie das im Juli vergangenen Jahres verabschiedete Gesetz, das Boykott-Aufrufe gegen die israelischen Siedlungen im palästinensischen Westjordanland unter Strafe stellt. Ernst nehme ich auch die Warnung des israelischen Staatspräsidenten Peres vor Rassismus in manchen israelischen Gesellschaftsbereichen.
Die Aufgabe der evangelischen Kirche sehe ich darin, freundschaftlich und tief verbunden dem Staat Israel zur Seite zu stehen. Diese Freundschaft schließt Kritik ein: Der Hinweis auf gesellschaftliche Fehlentwicklungen und alltägliche Diskriminierungen; den Widerspruch gegen politische Entscheidungen, die zu Ungerechtigkeiten und Unfrieden führen wie z.B. die Siedlungspolitik und die Erteilung bzw. Verweigerung von Baugenehmigungen.
Dabei werden wir uns als evangelische Kirche allerdings davor hüten zu meinen, es wäre an uns, von außen diese Konflikte lösen zu wollen. Lösen können den Konflikt nur die Konfliktparteien selbst. Besserwisserei unsererseits verbietet sich.
Biblische Hoffnungsperspektive: Land für Frieden in einer Zweistaaten-Lösung (Gen 13)
Die protestantische Perspektive auf den Staat Israel und damit gleichzeitig auch auf den Zusammenhang des Nahost-Konflikts, sehr geehrte Damen und Herren, möchte ich nicht ohne eine kurze biblische Betrachtung abschließen. "Sola scriptura", so lautete ja schließlich eine der Säulen der Reformation.
Einer der biblischen Texte, der m.E. besondere Hoffnung auf dem Weg zu einer Lösung des Nahost-Konflikts begründen könnte, steht im Ersten Buch Mose im 13. Kapitel. Der kurze Text erzählt davon, wie Abram und Lot in verschiedene Gebiete auseinandergehen, weil sie zuvor ständig in Konflikt gerieten (V. 6ff):
"Das Land aber ertrug es nicht, dass sie beieinander blieben, denn ihre Habe war so groß geworden, dass sie nicht beieinander bleiben konnten. So kam es zum Streit zwischen den Hirten der Herde Abrams und den Hirten der Herde Lots. Damals wohnten die Kanaaniter und Perissiter im Land. Da sprach Abram zu Lot: Es soll kein Streit sein zwischen mir und dir, zwischen meinen Hirten und deinen Hirten, denn wir sind Brüder. Steht dir nicht das ganze Land offen? So trenne dich von mir! Gehst du nach links, so will ich nach rechts gehen; gehst du nach rechts, so will ich nach links gehen. Da blickte Lot auf und sah, dass die ganze Jordan-Ebene ein wasserreiches Land war. [---] Da wählte sich Lot die ganze Jordan-Ebene, und Lot brach nach Osten auf. So trennten sie sich: Abram ließ sich im Land Kanaan nieder, und Lot ließ sich in den Städten der Ebene nieder und zog mit seinen Zelten bis nach Sodom."
Wohl gemerkt, unmittelbar nach Abrams Berufung und der Landverheißung an ihn (Gen 12) folgt dieser Text in der biblischen Erzählung. "Land für Frieden" könnte man ihn überschreiben. Von einer Zweistaaten-Lösung handelt er, die nicht nur damals, sondern auch heute noch die vorerst einzige Perspektive für eine friedliche Koexistenz zu sein scheint.
Anmerkungen
[1] C. H. J. DE GEUS, The fascination for the Holy Land during the centuries, in: Edward Noort u.a. (Hg), The land of Israel in Bible, history, and theology. Studies in honour of Ed Noort, Leiden, Boston 2009, S. 405-413, 410f.
[2] KARL BARTH, Die Kirchliche Dogmatik. Von der Lehre der Schöpfung. III/3, Zollikon-Zürich 1950, 240.
[3] ebd., 241.
[4] Vgl. zum Wortlaut der UN-Resolution 181 unter www.yale.edu/lawweb/avalon/un/res181.htm.
[5] Vgl. RAPHAEL JEHUDA ZWI WERBLOWSKY, Erfüllung, nicht Erfindung. Israel ist nicht länger ein Programm oder ein frommer Wunsch, in: Schalom 13 (1980), S. 10-16, 10.
[6] EVANGELISCHE KIRCHE IN DEUTSCHLAND, Christen und Juden I-III. Die Studien der Evangelischen Kirche in Deutschland 1975-2000, Gütersloh 2002, 194.
[7] M. STÖHR, Sind Christen zur Solidarität mit Israel verpflichtet?, in: Frank Crüsemann (Hg), Ich glaube an den Gott Israels. Fragen und Antworten zu einem Thema, das im christlichen Glaubensbekenntnis fehlt (= Kaiser-Taschenbücher, Bd. 168), Gütersloh 20012, S. 110-113, 110.
[8] HELMUT GOLLWITZER, Vietnam, Israel und die Christenheit, München 1967, 103.
[9] Vgl. KARL BARTH, Rechtfertigung und Recht. Christengemeinde und Bürgergemeinde (= Theologische Studien, Bd. 104), Zürich 19843, 50f.
[10] Vgl. hierzu und zum Folgenden: V. HAARMANN, Synodalbeschluss unter Beschuss!? Alte Thesen und ihre bleibende Relevanz für die Erneuerung des Verhältnisses von Christen und Juden, in: Ökumenische Rundschau 63 (2012) [in Druck].
[11] GOLLWITZER, Vietnam, 89.
[12] Vgl. ROLF RENDTORFF, Israel und sein Land. Theologische Überlegungen zu einem politischen Problem (= Theologische Existenz heute, Bd. 188), München 1975, 23.
[13] Vgl. ebd., 30.
[14] Vgl. KLAUS WENGST, Ein Staat wie kein anderer. Die Verbindung des Volkes Israel mit dem Land Israel ist biblisch begründet, in: Zeitzeichen 12 (2011), S. 27-28, 28.
[15] Vgl. GOLLWITZER, Vietnam, 89.
[16] BARTH, KD III/3, 231; 238; 225.
[17] ebd., 225.
[18] C. LINK, Die Krise des Vorsehungsglaubens. Providenz jenseits von Fatalismus, in: EvTh 65 (2005), S. 413-428, 413.
[19] Vgl. dazu grundlegend ebd., 418.
[20] Vgl. z.B. im August 2011 die Angriffe von Vollmer auf den rheinischen Synodalbeschluss: JOCHEN VOLLMER, Vom Nationalgott Jahwe zum Herrn der Welt und aller Völker. Der Israel-Palästina-Konflikt und die Befreiung der Theologie, in: Deutsches Pfarrerblatt (2011), S. 404-409, 404ff.
[21] BERTOLD KLAPPERT, Zeichen der Treue Gottes, in: Bertold Klappert u. Helmut Starck (Hg), Umkehr und Erneuerung. Erläuterungen zum Synodalbeschluss der Rheinischen Landessynode 1980 "Zur Erneuerung des Verhältnisses von Christen und Juden", Neukirchen-Vluyn 1980, S. 73-88, 82.
[22] Vgl. ebd., 82f.
[23] RENDTORFF, Israel, 51.
[24] Vgl. ALON LIEL, Wie einst in Südafrika. Israel plant ein Gesetz, das Menschenrechts-Gruppen die Arbeit erschwert, in: Süddeutsche Zeitung, 29.12.2011.
[25] Vgl. auch hierzu die Berichterstattung in der Presse: SZ, Boykott-Gesetz, in: Süddeutsche Zeitung, 12.7.2011.
Literaturverzeichnis
KARL BARTH, Die Kirchliche Dogmatik. Von der Lehre der Schöpfung. III/3, Zollikon-Zürich 1950.
KARL BARTH, Rechtfertigung und Recht. Christengemeinde und Bürgergemeinde (= Theologische Studien, Bd. 104), Zürich 19843.
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HELMUT GOLLWITZER, Vietnam, Israel und die Christenheit, München 1967.
C. H. J. DE GEUS, The fascination for the Holy Land during the centuries, in: Edward Noort u.a. (Hg), The land of Israel in Bible, history, and theology. Studies in honour of Ed Noort, Leiden, Boston 2009, S. 405-413.
VOLKER HAARMANN, Synodalbeschluss unter Beschuss!? Alte Thesen und ihre bleibende Relevanz für die Erneuerung des Verhältnisses von Christen und Juden, in: Ökumenische Rundschau 63, 2 (2012). [in Druck]
BERTOLD KLAPPERT, Zeichen der Treue Gottes, in: Bertold Klappert u. Helmut Starck (Hg), Umkehr und Erneuerung. Erläuterungen zum Synodalbeschluss der Rheinischen Landessynode 1980 "Zur Erneuerung des Verhältnisses von Christen und Juden", Neukirchen-Vluyn 1980, S. 73-88.
ALON LIEL, Wie einst in Südafrika. Israel plant ein Gesetz, das Menschenrechts-Gruppen die Arbeit erschwert, in: Süddeutsche Zeitung, 29.12.2011.
C. LINK, Die Krise des Vorsehungsglaubens. Providenz jenseits von Fatalismus, in: EvTh 65 (2005), S. 413-428.
ROLF RENDTORFF, Israel und sein Land. Theologische Überlegungen zu einem politischen Problem (= Theologische Existenz heute, Bd. 188), München 1975. SZ, Boykott-Gesetz, in: Süddeutsche Zeitung, 12.7.2011.
M. STÖHR, Sind Christen zur Solidarität mit Israel verpflichtet?, in: Frank Crüsemann (Hg), Ich glaube an den Gott Israels. Fragen und Antworten zu einem Thema, das im christlichen Glaubensbekenntnis fehlt (= Kaiser-Taschenbücher, Bd. 168), Gütersloh 20012, S. 110-113.
JOCHEN VOLLMER, Vom Nationalgott Jahwe zum Herrn der Welt und aller Völker. Der Israel-Palästina-Konflikt und die Befreiung der Theologie, in: Deutsches Pfarrerblatt, 8 (2011), S. 404-409.
KLAUS WENGST, Ein Staat wie kein anderer. Die Verbindung des Volkes Israel mit dem Land Israel ist biblisch begründet, in: Zeitzeichen 12, 7 (2011), S. 27-28.
RAPHAEL JEHUDA ZWI WERBLOWSKY, Erfüllung, nicht Erfindung. Israel ist nicht länger ein Programm oder ein frommer Wunsch, in: Schalom 13, 3 (1980), S. 10-16.