Absage an die Judenmission

Rabbiner-Brandt-Vorlesung 2009

Präses Nikolaus Schneider


I

Die theologische Einsicht, dass Judenmission uns Christenmenschen vom Evangelium her nicht aufgetragen oder gar befohlen ist, war für mich das Ergebnis eines Lernprozesses der ersten Dienstjahre als Pfarrer. An der Universität hatte ich noch anderes gelernt: der Bund mit Israel sei erledigt, die Kirche sei in der Nachfolge Israels Partnerin Gottes im neuen Bund. Dass Judenmission nicht mit Zwang oder Gewalt verbunden sein darf, stand nach der Shoa außer Frage. Es war auch zweifelhaft, ob Deutsche nach den Verbrechen Nazi-Deutschlands als Missionare geeignet seien. Aber die Grundüberzeugung war ungebrochen: Mission als Grunddimension kirchlicher Existenz ist allen Völkern gegenüber geboten, also auch Israel.

Ich hatte das Privileg, meine erste Pfarrstelle im Jahr 1976 im Kirchenkreis Moers antreten zu dürfen. Dort wohnte auch Prof. Heinz Kremers, der mehrfach im Pfarrkonvent oder bei anderen Gelegenheiten für eine völlig anderes Verständnis gerade paulinischer Aussagen warb: der Bund Gottes mit seinem Volk Israel besteht, Israel zählt gerade nicht zu den Völkern, an die sich die christliche Mission zu wenden hat.

Nach meiner festen Überzeugung beschreiten Christinnen und Christen, Kirchen und ihre Missionsgesellschaften einen theologischen Irrweg, wenn sie im Namen des Evangeliums versuchen, Jüdinnen und Juden von jüdischem Glauben und jüdischer Lebensgestaltung abzubringen und sie zu Mitgliedern christlicher Gemeinden zu machen. Verschiedene Rabbiner haben mit Recht Alarm geschlagen und uns darauf aufmerksam gemacht, dass christliche Missionare gerade in jüngster Zeit den jüdischen Gemeinden in Deutschland hart zusetzen.

Jüdinnen und Juden erleben solche christlichen Missionare – so höre ich mit Schrecken - wie Jäger und Sammler, die Beute machen. Und nach allem was in der Kirchengeschichte und in der politischen Geschichte unseres Landes geschehen ist, kann ich verstehen, dass sie nicht nur die neuerlichen judenmissionarischen Aktivitäten, sondern jeden Versuch von Judenmission als eine –wenn auch nicht Menschen mordende, aber die Existenz des jüdischen Volkes bedrohende- Form von Judenverfolgung ansehen müssen.

Die Vorstellung, mit direktem oder indirektem Zwang von seiner Religion und Kultur abgebracht und also von seinen Wurzeln getrennt zu werden, macht Angst, die eigene Identität zu verlieren und kann geradezu als existenzbedrohend erlebt werden. Gerade weil für mich jeder Vergleich mit der Schoa unangemessen ist, höre ich mit besonderer Aufmerksamkeit, wenn ein führender Vertreter im christlich-jüdischen Gespräch, Rabbiner Nathan Peter Levinson, seinerzeit sogar von Judenmission als „Holocaust mit anderen Mitteln“ sprach. Dieser drastische Vergleich lässt mich ahnen, was schon das Wort „Judenmission“ in Jüdinnen und Juden auslöst.

Deshalb möchte ich diesen Vortrag zum Anlass nehmen, noch einmal zu bekräftigen, was in unserer Evangelischen Kirche im Rheinland eigentlich selbstverständlich sein sollte: eine Absage an die Judenmission ohne Wenn und Aber.

Auch über den Bereich der Evangelischen Kirche im Rheinland hinaus werden die neuerlichen judenmissionarischen Aktivitäten in Deutschland beinahe von allen Repräsentanten christlicher Kirchen quer durch die Ökumene abgelehnt.

Ziele dieser neuen missionarischen Aktivitäten sind vor allem jüdische Einwanderer aus der ehemaligen Sowjetunion. Wie bei den christlichen Aussiedlern handelt es sich meist um Menschen, die aus einer anderen Kultur kommen, die deutsche Sprache noch nicht beherrschen, deshalb Schwierigkeiten haben, einen Platz auf dem Arbeitsmarkt zu finden und in vielfacher Weise hilfsbedürftig und orientierungslos sind. Wie unsere Gemeinden sich um die christlichen Aussiedler bemühen, so haben sich die jüdischen Gemeinden der Jüdinnen und Juden aus der Sowjetunion angenommen, damit diese sich bei uns wohl fühlen und Heimat finden. Da es sich bei den jüdischen Einwanderern um eine im Verhältnis zu den kleinen jüdischen Gemeinden große Gruppe handelt, bedeuteten diese Unternehmungen für die jüdischen Gemeinden riesige Anstrengungen, die jede Anerkennung und Hochachtung verdienen.

Wenn eine christliche Judenmission ihre Aktivitäten auf diese Gruppe der Einwanderer konzentriert, dann kann der Eindruck entstehen, dass Juden für das Christentum geradezu „gekauft“ werden. Finanzielle Zuwendungen, Sozialleistungen und andere Hilfen werden jüdischen Einwanderern von christlichen Gemeinden geboten, gegen die nichts zu sagen wäre, wenn sie nicht mit der offenen oder unausgesprochenen Erwartung verbunden würden, dass diese im Gegenzug christliche Gottesdienste und speziell auf Juden angelegte missionarisch-evangelistische Veranstaltungen besuchen.

Dass Jüdinnen und Juden dabei leicht zu beeinflussen sind, hat auch darin seinen Grund, dass die jüdische Prägung von vielen in der ehemaligen Sowjetunion nicht weit oder so gut wie gar nicht entwickelt war. In diesem religionskritischen und z.T. offen antisemitischen Umfeld fehlte es in vielen Familien an der nötigen religiösen Bildung und der Einübung religiöser Praxis. So kommen viele jüdische Einwanderer ohne große religiöse Kenntnis und Erfahrung nach Deutschland (was für einen Teil der evangelischen Aussiedler übrigens genauso gilt). Wenn diese Schwächen und Notlagen nun von christlichen Missionaren als missionarische Gelegenheiten ausgenutzt, ja missbraucht werden, so halte ich das für unredlich.

Solche fragwürdigen Aktivitäten christlicher Missionare sind in unserer Landeskirche nicht unwidersprochen geblieben. Vor zweieinhalb Jahren z. B. haben evangelische und katholische Repräsentanten in Köln gemeinsam das „Kölner Nein zur Judenmission“ gesprochen, es argumentativ erarbeitet und in einem Ritual der Jüdischen Gemeinde Köln gegenüber zum Ausdruck gebracht.

Auch viele Repräsentanten der großen Kirchen haben sich von diesen fragwürdigen judenmissionarischen Aktivitäten distanziert. „So nicht!“, sagen die meisten.

Dennoch halten einige von ihnen „Judenmission“ grundsätzlich für eine unverzichtbare Aufgabe der Kirche, allerdings eine, wie sie meinen, „bessere“ Form der Judenmission: nicht aggressiv, menschlich und theologisch vertretbar. So sehr ein Nein zu den gegenwärtigen judenmissionarischen Aktivitäten unter den kirchlichen Repräsentanten und in der akademischen Theologie selbstverständlich ist, so wenig besteht ein Konsens in der Absage an die Judenmission ohne Wenn und Aber.

Ich vertrete demgegenüber eine Gegenposition. Ich meine, dass nicht nur die fragwürdigen neuerlichen judenmissionarischen Aktivitäten abzulehnen sind, sondern vielmehr ein generelles Nein zur Judenmission ohne Wenn und Aber ausgesprochen werden muss. Damit setze ich mich notwendig auch der Kritik und dem Diskurs in den eigenen Reihen aus.

Die Kirchenleitung der Evangelischen Kirche im Rheinland hat im Dezember letzten Jahres eine Stellungnahme veröffentlicht, die vom Ausschuss „Christen und Juden“ und dem „Theologischen Ausschuss“ unserer Kirche erarbeitet worden ist. Sie trägt die programmatische Überschrift „ Absage an Begriff und Sache christlicher Judenmission“. Drei Monate später veröffentlichte im März 2009 das „Zentralkomitee der deutschen Katholiken“ eine ganz ähnliche Stellungnahme unter der Überschrift: „Nein zur Judenmission – Ja zum Dialog zwischen Juden und Christen“. Bei allen Unterschieden in der Argumentation kommen doch beide Stellungnahmen unabhängig voneinander zu dem gleichen Ergebnis: einem entschiedenen Nein zur Judenmission.

Die Absage an die Judenmission ist nach unserer Überzeugung nicht nur um der Juden, sondern auch um der Christen willen nötig – und zwar aus theologischen Gründen. Denn Judenmission ist für uns ein Zeichen kirchlicher Anmaßung und Ausdruck eines Christusverständnisses, das nach unserem Urteil dem wesentlichen Zeugnis des Neuen Testamentes widerspricht. Die Argumentation unserer Stellungnahme will ich im Folgenden darstellen.

II

Schon an dem Wort „Judenmission“ kann die Sache vom Kopf auf die Füße gestellt werden. Das Wort „Judenmission“ ist für mich theologisch nur dann sinnvoll, wenn man es folgendermaßen deutet: im Sinn einer Mission der Juden an die Völker der Welt. Dabei ist das Wort „Mission“ nicht im klassischen Sinn verstanden, denn Juden treiben ja keine Mission, sondern im wörtlichen Sinn als Sendung der Juden an die Völker der Welt. Wenn man schon das Wort „Judenmission“ gebrauchen will, dann sind wir, die christlichen Kirchen aus den (nichtjüdischen) Völkern, nicht Akteurinnen der Judenmission, sondern Empfängerinnen. Gott macht Israel, also Jüdinnen und Juden, zu einem „Licht für die Völker“, für uns Heidenvölker, wie es der Prophet Jesaja (42 ,6; 49,6) formuliert hat.

„Jeder siebte Tag ein Feiertag“ - zum Beispiel. Diese fundamentale Ordnung hat bei Juden ihren Ursprung (2.Mose 23,12), inzwischen profitiert davon die ganze Welt, nicht nur Christen und Muslime, sondern auch die gesamte säkulare Welt. Der Sabbat – ein Licht aus Israel für die Völker der Welt.
Die Zehn Gebote, das in jüdischer Tradition angemessener als „Zehnwort“ bezeichnet wird, (2.Mose 20; 5.Mose 5) sind Kern der jüdischen Tora; in der Proklamation der Menschenrechte findet die zweite Tafel des Zehnwortes heute überall auf der Welt Anerkennung.

Nicht nur das Gebot der Nächstenliebe (3.Mose 19,18), sondern auch das der Feindesliebe (Sprüche 25, 21-22) verdankt die Welt - anders als es üblicherweise behauptet wird - nicht dem Christentum, sondern dem Judentum.

Doch nicht nur jüdische Ethik ist in alle Welt exportiert. Sondern wir verdanken Israel besonders den Glauben an den lebendigen Gott, den Einen, der barmherzig und gnädig ist, geduldig und von großer Güte (2.Mose 34,6 u.ö.), und der das Nichtseiende ruft, dass es sei (Psalm 33,9), der die Toten erweckt (Daniel 12,2), die Verworfenen erwählt (Psalm 118,22) und die Gottlosen rechtfertigt (Jona 4; Daniel 9,18).

Judenmission? Wenn dieses Wort schon gebraucht wird, dann nur in dem Sinn, dass die christlichen Kirchen von der Mission der Juden, ihrer Sendung an die Welt, profitieren.

Mein Vorgänger im Amt des Präses der Evangelischen Kirche im Rheinland, Manfred Kock, hat das auf der Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland vor zehn Jahren als damaliger Ratsvorsitzender so formuliert:

„Israel ist der erste Zeuge Gottes vor der Welt und seiner Bestimmung nach ‚Licht der Völker’ (Jes 42,6; 49,6). Die Kirche hat ihre Sendung (Mission) an die Völker in Teilnahme und Teilhabe an dem Zeugendienst Israels vor der Welt zu verstehen. Israel und die Kirche sind gemeinsame Zeugen Gottes vor der Welt. Die Beauftragung der Kirche zur Mission richtet sich nicht an Israel, sondern nach Mt 28 an die ‚Völker’. Damit ist nicht Israel gemeint, damit ist Israel auch nicht mitgemeint. Deshalb ist die Sendung der 12 Jünger an Israel (Mt 10,4f) von der Mission an die Völker (Mt 28,16-20) zu unterscheiden. In der Sendung Jesu an Israel geht es um die Umkehr im Bund, die Umkehr im Vaterhaus. Davon ist zu unterscheiden die den Jüngern seit der Auferweckung des Gekreuzigten aufgetragene Mission an alle Völker. Judenmission würde fälschlich voraussetzen, Israel sei von Gott verworfen, auf die Stufe der ‚Völker’ zurückgefallen“

Israel von Gott verworfen? Ein Volk wie jedes andere? Solche Irrtümer beherrschten die christliche Theologie fast zwei Jahrtausende lang.

Ignatius von Antiochien und andere Apostolische Väter lehrten sie zu Beginn des zweiten Jahrhunderts. Ihre Schriften wurden zwar nicht in die christliche Bibel aufgenommen, aber sie bestimmten fortan das Denken der Christen über die Juden. So wurden die Christen hochmütig. Sie fühlten sich Juden gegenüber erhaben, sie glaubten, den Juden etwas voraus zu haben. Vor allem das Wissen über den jüdischen Messias. So kehrten die Christen die "Judenmission" um, nahmen sie selbst in ihre Hand, machten sie zu ihrer Aufgabe gegenüber und auch gegen Juden. "Judenmission" in diesem Sinn ist mithin Ausdruck eines Überlegenheitsgefühls und eines christlichen Absolutheitsanspruchs.

Zu verschiedenen Zeiten wurde von Einzelnen auch anders gedacht. Aber erst vor etwa 50 Jahren setzte ein breites theologisches Umdenken in den christlichen Kirchen ein.

Israel ist von Gott nicht verworfen.

Israel ist nicht enterbt.

Die Kirche ist nicht an die Stelle Israels getreten, sondern an die Seite Israels berufen.

Das sind in schlichten Thesen die Einsichten, zu denen viele Christen gefunden haben und die sie fortan nicht müde werden, gegen die antijüdische Sicht einer bald zweitausendjährigen christlich-theologischen Tradition lautstark zur Zeit und zur Unzeit zu vertreten.

Das Zweite Vatikanische Konzil hat das für die Römisch-katholische Kirche ausgesprochen und damit im Raum dieser Kirche den christlich-jüdischen Dialog eröffnet - als eine eigenständige Aufgabe neben dem ökumenischen Dialog und dem Interreligiösen Dialog.

Zeitgleich wurden durch die Arbeitsgemeinschaft "Christen-Juden" auf den Evangelischen Kirchentagen in Deutschland im Raum evangelischer Kirchen christlich-jüdische Dialoge begonnen. Diese führten 1980 zu dem bahnbrechenden Beschluss der Rheinischen Landessynode "Zur Erneuerung des Verhältnisses von Christen und Juden". Dem sind inzwischen viele evangelische Kirchen innerhalb und außerhalb Deutschlands gefolgt.

Sich in Gegensatz zur gesamten christlichen Theologiegeschichte zu bringen, das erschien vor dreißig Jahren vielen Christen und Christinnen zunächst noch als ein zu großes Wagnis. Inzwischen aber haben sich diese Einsichten als ein längst fälliger Schritt der Umkehr und Erneuerung auch in vielen anderen Kirchen durchgesetzt.

Der Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland hat dreimal eine Denkschrift unter dem Titel "Christen und Juden" veröffentlicht (1975, 1991 und 2000), die den Lernprozess innerhalb der Evangelischen Kirchen in Deutschland dokumentieren.

Auf der Grundlage solcher Einsichten konnte die Bibel neu gelesen werden. Von Judenmission steht darin nämlich nichts. Das, was traditionellerweise so genannt wird, sind Predigten der Apostel in den Synagogen (Apostelgeschichte 13,5. 14; 14,1 u.ö.). Doch das ist keine Judenmission, sondern hier geht es um innerjüdische Auseinandersetzungen. Innerhalb des Judentums streiten Gruppen um das Verständnis des verheißenen Messias. Petrus, Paulus, Jakobus und alle anderen Apostel waren samt und sonders Juden.

Nach ihrem Selbstverständnis sind sie Juden. Juden, die glauben, dass Jesus ihr Messias ist. Diese Juden wollen andere Juden für diese Überzeugung gewinnen. Und Juden, die sich davon überzeugen lassen, lassen sich taufen. Sie bleiben nach ihrem Selbstverständnis aber Juden und leben auch weiter jüdisch. Sie halten den Sabbat, feiern Pessach und die anderen jüdischen Feste, lassen ihre Söhne beschneiden, und beachten die Speisegebote.

„Juden, die Jesus als Messias anerkennen“? Ich weiß, dass das im gegenwärtigen Judentum für eine contradictio in adiecto, für einen Widerspruch in sich selbst gehalten wird. Annähernd 1900 Jahre lang hat das ja auch die christliche Kirche so gesehen: Wer Jesus als Messias anerkennt, hört auf, Jude zu sein.

Das aber war im ersten Jahrhundert der Christentumsgeschichte, in der Zeit des Neuen Testamentes bekanntlich anders. Juden, die glauben, dass Jesus ihr Messias ist, verstehen sich selbst weiter als Juden. Ihre Taufe bedeutet keinen Religionswechsel.

Im Gegensatz dazu bedeutet die Taufe für Menschen, die dem Judentum nicht angehören, sehr wohl ihren Religionswechsel: Sie lassen ihre alte Religion hinter sich, ihren Glauben an Jupiter und die Götter und Göttinnen des Olymp, zum Beispiel. Sie bekennen sich durch den Glauben an den Messias Jesus zu dem einen Gott (vgl. 1.Thess 1,9). Sie sind darum zu Recht Adressaten christlicher Mission.

Schon im Neuen Testament gibt es also unterschiedliche Gesprächsebenen. Ihre Beachtung verhilft auch in der Gegenwart zu einer hilfreichen Differenzierung. Es gibt zum einen den „innerjüdischen Dialog“, das Gespräch zwischen den Jesusjüngern und anderen Juden. Demgegenüber steht der „innerchristliche Dialog“, also der ökumenische Dialog zwischen Christen unterschiedlicher Prägung oder verschiedenen Kirchen. Zwischen beiden steht der „christlich-jüdische Dialog“, die geschwisterliche Begegnung zwischen Christen und Juden, den Rudolf Brandau treffend als „innerbiblischen Dialog“ bezeichnet hat. Auf allen drei Ebenen handelt es sich um Dialoge im Binnenraum. Von „Mission“ kann hier keine Rede sein. Missionarisch ist der Dialog erst, wenn die Botschaft der Bibel nach außen vertreten wird, z. B. gegenüber anderen Religionen oder gegenüber dem praktischen oder theoretischen Atheismus in unserer Gesellschaft und den diesen korrespondierenden postchristlichen neuheidnischen Umtrieben.

Der Dialog zwischen Juden, die an Jesus als Messias glauben, und solchen, die das nicht tun, gleicht in manchem den ökumenischen Dialogen, den Diskussionen zwischen den christlichen Konfessionen. Da gibt es viel Gesprächsbedarf. Da gibt es neben großen Gemeinsamkeiten, zahlreiche Differenzen, Unterschiede, Gegensätze und Widersprüche. Die wollen ausgehalten werden. Aber keiner will den anderen missionieren. Judenmission durch Christen ist daher so absurd, als würden Protestanten Katholiken missionieren.

Exemplarisch wird dieses Umdenken an der Geschichte des "Evangelisch-lutherischen Zentralvereins für Mission unter Israel" erkennbar, der 1871 von Franz Delitzsch gegründet worden war. Nachdem dieser Verein unter dieser Bezeichnung im Jahr 1945 neu gegründet worden war, distanzierte er sich am 28. September 1985 zunächst vom Begriff der "Mission" und benannte sich um in "Evangelisch-lutherischer Zentralverein für Zeugnis und Dienst unter Juden und Christen". Schließlich nahm der "Zentralverein" aus Anlass seines 120. Gründungsjubiläums am 16. September 1991 in aller Form Abschied von der Sache der Judenmission in jeder Variante. Damit war die organisierte Judenmission auf dem Boden evangelischer Landeskirchen offiziell beendet. Das beendete aber nicht die Diskussion um die Judenmission.

III

Ich halte fest: Judenmission ist den Christen aus der Völkerwelt im Neuen Testament nicht geboten. Ich gehe aber noch einen Schritt weiter: Judenmission ist den Christen aus der Völkerwelt im Neuen Testament nicht nur nicht geboten, sondern auch verwehrt, ja geradezu verboten. Diese Einsicht verdanken wir dem Apostel Paulus, weil wir gelernt haben, Paulus gegen seine bald zweitausendjährige Auslegungsgeschichte zu lesen.

Jüdische Ausleger des Neuen Testaments haben uns Christen an vielen Stellen geholfen, das Neue Testament besser zu verstehen. So haben uns jüdische Ausleger eine neue Sicht der Briefe und der Theologie des Apostel Paulus vermittelt. Wir haben zum Beispiel gelernt, dass Paulus nicht einfach das Gleiche sagt wie Martin Luther. Paulus ist kritisch gegenüber lutherischer Paulusdeutung zu lesen. Vor allem haben wir gelernt, uns gründlich von einer antijüdischen Paulusdeutung zu verabschieden.

Im Zuge dieser Paulusdeutung lesen wir den Römerbrief heute neu. Wir lesen ihn als Dokument, mit dem der Apostel den Christen aus der Völkerwelt klar macht, dass Gott, der Jesus von den Toten auferweckt hat und der sie deshalb ohne ihr Mittun allein aufgrund seiner Schöpfertreue (pistis) rettet, immer schon der Gott Israels war, der immer schon erwählt, was in menschlichen Augen verworfen ist, der dem Nichtseienden ruft, dass es sei, der die Toten erweckt und die Gottlosen rechtfertigt. Die Kapitel 9-11 des Römerbriefes können jetzt als der Zielpunkt der ganzen theologischen Argumentation verstanden werden. Der Hymnus auf Gottes Unverfügbarkeit und Unerforschlichkeit (11, 33-36) folgt auf die These vom endgültigen Triumph der Gnade Gottes, mit der der Apostel seine gesamte theologische Argumentation abschließt. Sie lautet (V.32):

„Gott hat sie alle (Juden wie Nichtjuden) eingeschlossen in den Ungehorsam, damit er sich aller (Juden wie Nichtjuden) erbarme.“

Dass die große Mehrheit der Juden nicht seinem Weg folgt, den gekreuzigten und auferweckten Jesus als Messias anzuerkennen, macht den Apostel traurig. Das entfaltet er in den Kapiteln 9-11 des Römerbriefes. Er deutet diese Haltung zunächst als Unglaube und Ungehorsam. Und obwohl er sich als Apostel für die nichtjüdischen Völker versteht, hat er sich auch wie kein anderer als Jude bemüht, andere Juden für den Glauben an den Messias Jesus zu „gewinnen“ (1. Korinther 9,20; Römer 1,16; 11,13-15). Doch schließlich muss er feststellen, dass er nur bei „einigen wenigen“ (Römer 11,14) erfolgreich war.

Das bedauert er zwar, aber am Ende seiner Tätigkeit zieht er kein trauriges Resumee, sondern er zitiert, was ihn angesichts seines Misserfolges getröstet hat. Das eröffnet eine hoffnungsvolle Perspektive, die zugleich ein entschlossenes Nein zur Judenmission einschließt. Am Ende seines Nachdenkens über den Weg seines Volkes Israel steht eine Erkenntnis, die er selbst „ein Geheimnis“ nennt, das sich ihm erschlossen hat (Römer 11,25-27):

Ich will euch, liebe Brüder, dieses Geheimnis nicht verhehlen, damit ihr euch nicht selbst für klug haltet: Verstockung ist einem Teil Israels widerfahren, so lange bis die Fülle der Heidenvölker zum Heil gelangt ist; und so wird ganz Israel gerettet werden, wie geschrieben steht (Jesaja 59,20; Jeremia 31,33): »Es wird kommen aus Zion der Erlöser, der abwenden wird alle Gottlosigkeit von Jakob. Und dies ist mein Bund mit ihnen, wenn ich ihre Sünden wegnehmen werde.«

"... damit ihr euch nicht selbst für klug haltet!" - das klingt so, als hätte der Apostel Paulus schon den ganzen Wahnsinn einer bald zweitausendjährigen Geschichte kirchlicher Judenmission vorausgesehen.

"... damit ihr euch nicht selbst für klug haltet!" Schon damals also dünkte sich die Christenheit erhaben über das Judentum. Paulus holt sie auf den Boden herunter, zurück auf den Teppich. Er teilt ihnen mit, was er inzwischen gelernt hat.

Als "Verstockung" deutet er hier den Tatbestand, dass Israel in Jesus nicht seinen Messias sehen kann. Und zweitausend Jahre lang hat die Kirche nur das gelesen und nicht das, was darüber hinaus führt. Und sie hat nur die negativen Konnotationen in dem Wort "Verstockung" gehört. Aber das Wort "Verstockung" ersetzt hier Wörter wie "Unglaube" oder "Ungehorsam". Und es meint nicht dasselbe wie sie. Unglaube oder Ungehorsam – das geht auf das Konto von Menschen. Verstockung geht auf Gottes Konto. Verstockung ist nicht Menschenwerk, auch nicht Teufelswerk, sondern Tat Gottes.

Schon an dieser Wortwahl wird deutlich, dass Paulus aufgehört hat, Juden für den Glauben an Jesus zu gewinnen, weil er zu der Einsicht gekommen ist, damit würde er gegen Gottes Werk arbeiten. Das Ende seiner Bemühungen um seine jüdischen Geschwister ist nicht Ausdruck von Resignation nach dem Motto "Da ist eh Hopfen und Malz verloren", sondern Ausdruck seiner Hoffnung für ganz Israel. Wenn das Nein Israels zum Messias Jesus Gottes Werk ist, dann bekräftigt das den Glauben, dass Israel nicht verworfen ist, sondern am Ende gerettet wird – auf eine geheimnisvolle Weise, menschlicher Einsicht verborgen.

Und dann fährt er fort: Die Verstockung ist zeitlich begrenzt: “so lange bis die Fülle der Heidenvölker zum Heil gelangt ist“, sagt Paulus. Am Ende der Zeiten wird ganz Israel gerettet werden. Damit spricht er die Hoffnung des Judentums aus, das nach der Mischna die endzeitliche Wiederherstellung Israels als Zwölfstämmevolk erwartet: "Ganz Jisrael hat einen Anteil an der zukünftigen Welt“ heißt es im Mischna-Traktat Sanhedrin XI.1. Diese Hoffnung geht Hand in Hand mit der von Jesaja verheißenen Völkerwallfahrt zum Zion (Jes 2,2f).

Die Rettung ganz Israels geschieht. Ganz gewiß und ohne jeden Zweifel, aber – an der Kirche vorbei. „Der Erlöser vom Zion“ (Jesaja 59,20; Römer 11,26) ergreift selbst die Initiative. Er lässt sich ohne jede menschliche Mitwirkung schauen, was jede Mission und jede Bekehrung überflüssig macht. Er lässt sich schauen zu einer Zeit, in der für alle Völker der Gott Israels alles in allem sein wird, wie es 1. Korinther 15,28 heißt.

"Die Rettung ganz Israels an der Kirche vorbei" – darin stimmen wir überein mit der Stellungnahme des Zentralrates der deutschen Katholiken vom März diesen Jahres. Sie verabschiedet sich von der kirchlichen Lehre, die in dem bekannten Satz zum Ausdruck kommt "Nulla salus extra ecclesiam (Außerhalb der Kirche kein Heil)". Ausdrücklich erklärt sie diese traditionelle Position theologischer Tradition für "überwunden" (S.21).

Die Rettung ganz Israels an der Kirche vorbei – das wird von der Kirche oft als Kränkung empfunden. Gelegentlich wird eingewandt, die Kirche sei doch der "Leib Christi" und habe darum teil an seiner universalen Herrschaft. Der Einwand übersieht, dass überall da, wo die Kirche als Leib Christi bezeichnet wird, der Vorrang Christi vor der Kirche nicht aufgegeben, sondern betont zum Ausdruck gebracht wird. Auch als Leib Christi ist das Wesen und der Auftrag der Kirche beschränkt. Die Kirche wird vergehen, wenn der Leib Christi die Welt geworden ist.

Diese Beschränkung der Kirche will ausgehalten und in ihrer produktiven Kraft entfaltet werden. Die Rettung ganz Israels ist in der Heiligen Schrift - salopp gesagt - "zur Chefsache erklärt". Wenn eine Kirche die Rettung Israels zu ihren Aufgaben zählt, also beispielsweise Judenmission betreibt, maßt sie sich an, was nach Überzeugung des Paulus Gott selbst vorbehalten bleibt. Judenmission ist darum Ausdruck kirchlicher Anmaßung. Darum ist Judenmission der Kirche verboten.

IV

Die Rettung Israels an der Kirche vorbei geschieht allerdings nach Überzeugung des Paulus nicht am Messias Jesus vorbei. Er hofft, dass am Ende sich für ganz Israel ereignet, was ihm vor Damaskus widerfahren ist (Galater 1,11-17). Ihm, dem Chris-tenverfolger, hatte sich der Gekreuzigte selbst als lebendiger Herr und Gottessohn offenbart. Gott, so erlebte Paulus dieses Geschehen, ist also der, der den Verwor-fenen erwählt und sich am Ende der Zeiten aller, Juden wie Nichtjuden, erbarmt (Römer 11,32).

"Die Rettung Israels an der Kirche vorbei, aber nicht an Christus vorbei." Auf den ersten Blick erscheint das wie die Erwartung, dass am Ende das Christentum doch noch über das Judentum triumphiert. Das klingt so wie die beschwichtigende Deutung der von Papst Benedikt XVI. revidierten Karfreitagsfürbitte, die Kardinal Walter Kasper am 20.März 2008 in der FAZ gegeben hat. Dann wird am Karfreitag dafür gebetet, dass die Juden, wenn schon nicht hier und heute, dann doch am Ende der Zeiten Jesus als Messias anerkennen sollen.

"An der Kirche, aber nicht an Christus vorbei" - Das ist jedoch etwas ganz anderes als die Hoffnung auf den späten Sieg des Christentums. Jedenfalls dann, wenn die Frage, wer dieser Christus, der Messias, ist, offen bleibt. Paulus spricht gerade hier nicht von Jesus, sondern ganz unbestimmt von dem "kommenden Erlöser vom Zion“. Und seine Argumentation gipfelt in dem Hymnus, der die Unerforschlichkeit der Wege Gottes preist (VV. 33-36).

Manche deuten die Formulierung "der kommende Erlöser von Zion" so, dass sie behaupten, hier sei gar nicht vom Messias die Rede, sondern "der kommende Erlöser vom Zion" sei Gott selbst. Das wäre für Paulus allerdings ganz singulär. Und an allen anderen Stellen, an denen Jesaja 59,20 in jüdischen Texten zur Zeit des zweiten Tempels und in der rabbinischen
Literatur zitiert wird, geht es immer um eine Rettergestalt, die von Gott unterschieden wird. Dass Paulus hier vom Christus, vom Messias, redet, kann nicht wegdisputiert werden. Aber mit der offenen Formulierung wehrt Paulus einer triumphalen christlichen Auslegung und einer imperialen kirchlichen Handhabung des Christuszeugnisses.

Wenn die Frage, wer der Messias ist, offen bleibt, dann ist jeder christliche Triumphalismus ausgeschlossen. Dietrich Bonhoeffer hat das 1941 seiner Kirche mit der viel zitierten Formulierung eingeschärft: „Der Jude hält die Christusfrage offen“. Ob Jesus der Messias ist, das muss auch für die Christen eine offene Frage bleiben, die nur der kommende Messias selbst beantworten kann.

Das war schon am ersten Ostertag so. Kaum hatten Maria Magdalena (Johannes 20,17) oder die zwei Jünger in Emmaus (Lukas 24,31) den auferstandenen Jesus als Messias erkannt, da hat er sich ihnen schon entzogen. Seit der Himmelfahrt Jesu sind die, die ihm nachfolgen, zugleich diejenigen, die ihn erwarten (Apostelgeschichte 1,11). Sie warten darauf, dass er selbst sich als der erweist, als den sie ihn glauben, den Herrn der Welt.

Die Theologen sagen: Das Christusbekenntnis steht „unter eschatologischem Vorbehalt“. Das ist eine Denkfigur, die die gesamte Theologie des Apostel Paulus bestimmt und die im christlich-jüdischen Dialog bei der Messiasfrage gar nicht hoch genug eingeschätzt werden kann.

Johannes Calvin war hierin dem Apostel Paulus kongenial. Seine Vorbehalte gegenüber einer orthodox-lutherischen Abendmahlslehre waren in der gleichen Christologie begründet. Er sagt: Seit der Himmelfahrt ist Christus im Himmel, „in certo loco“, menschlicher Verfügung entzogen. Seine Warnung, dass die Betonung des lutherischen „est“ im Abendmahlsverständnis nicht zu der irrigen Vorstellung führen darf, als bekämen wir Christus hier „in die Hand“, muss das ganze Christusbekenntnis bestimmen. Wir bleiben bei unserem Christusbekenntnis auf den Selbsterweis des Christus angewiesen.

Martin Luther führten diese Gedanken zu seiner verwegenen Kreuzestheologie, der theologia crucis, die die Unverfügbarkeit des Herrn wahrt, und jede theologia gloriae verbietet, die Christus zu besitzen und argumentativ gegen andere zu behaupten wagt.

Diese Theologie steht auch hinter der revidierten Fassung der Karfreitagsfürbitte der Römisch-katholischen Kirche von 1970. Diese Fassung trägt dem Gedanken Rechnung, dass die Entscheidung, wie und wann Gott Israel rettet, allein bei Gott liegt, wenn sie formuliert, dass Gott die Juden bewahren möge „in der Treue zu seinem Bund und in der Liebe zu seinem Namen, damit sie das Ziel erreichen, zu dem sein Ratschluss sie führen will.“

Sie sehen, wir vertreten – vielleicht im Unterschied zu der Stellungnahme des Zentralkomitees der deutschen Katholiken – nicht die sogenannte „Zwei-Wege-Lehre“. Das heißt: die Anschauung, dass Juden und Christen auf unterschiedlichen Wegen zum Heil kommen, die einen durch Jesus Christus, die anderen ohne ihn. Ich halte diese Theorie theologisch für zu einfach und nicht schriftgemäß und darum für höchst problematisch.

Wir reden nicht von zwei Wegen zum Heil, wir reden überhaupt nicht von einem Weg zum Heil, den Menschen zu beschreiten hätten, um am Ende gerettet zu werden.
Wir knüpfen vielmehr – auf den Spuren des Apostel Paulus – an die jüdische Gewissheit an, dass der Grund des Heils Gottes souveräne bedingungslose Erwählung ist, die keiner menschlichen Vorleistung bedarf. Seine Initiative ist es, die über Heil und Unheil entscheidet. Wir argumentieren differenzierter als die sog. „Zwei-Wege-Lehre“.
Wir bleiben bei unserem Bekenntnis zur Universalität der Herrschaft Jesu Christi. Wir schmälern an dieser Stelle den Widerspruch zum Judentum nicht. Wir halten den Gegensatz aus. Und umgekehrt: Unser Bekenntnis zur Universalität der Herrschaft Jesu Christi verpflichtet uns zur Selbstbescheidung und Gelassenheit. Die universale Herrschaft Christi macht seine Nachfolgerinnen und Nachfolger zum Fußvolk und führt notwendig zu einer theologia viatorum.

Und damit ist die Christenheit wie das Judentum "unterwegs" und noch nicht am Ziel. Sie bleibt wie das Judentum darauf angewiesen, dass der kommende “Erlöser vom Zion” sich selbst zu erkennen gibt. Von daher hat sie dem Judentum nichts voraus. Sie kann nicht behaupten, dem jüdischen Glauben fehle etwas im Vergleich zum christlichen Glauben. Die Christenheit bildet zusammen mit dem Judentum eine Solidargemeinschaft der Wartenden, in der sie beide im missionarischen Zeugnis vor den Völkern und im wechselseitigen Zeugnis voreinander dem Gott Israels die Ehre geben.

Das Zeugnis des Judentums kann die Kirche davor bewahren, alles schon christologisch zu wissen, statt mit Israel seinem kommenden Messias entgegen zu gehen. So kann wieder klar werden, dass es für eine theologisch begründete Absage an die Judenmission kein Wenn und kein Aber geben kann.

Die Christenheit hat nicht den Auftrag, das jüdische Nein zum Messias Jesus aufzubrechen. Im Gegenteil! Dieses Nein leistet Christinnen und Christen einen unverzichtbaren Dienst: Es erinnert die Christen daran, dass sie nicht über ihren Herrn verfügen können, dass sie ihn nicht besitzen können. Deshalb lässt sich Christus auch nicht argumentativ und missionarisch gegen das Judentum ins Feld führen. Wer wirklich glaubt, dass der gekreuzigte und auferstandene Jesus der Herr der Welt ist, der wirft sich Gott so in die Arme, dass er auch am Ende für jede Überraschung - und jede Enttäuschung - durch ihn offen ist und bleibt. Christliche Heilsgewissheit baut darauf, dass am Ende der Messias, der Christus, siegt und nicht die christliche Lehre über ihn.

Lassen Sie mich das am Ende mit zwei kleinen Anekdoten zum Ausdruck bringen.

Moshe und Martin leben im selben Dorf, Busenfreunde von Kindertagen an, der eine Jude, der andere Christ. Immer wieder haben sie über der aufgeschlagenen Bibel gestritten. Wer hat Recht? Der jüdische oder der christliche Glaube? Je älter sie werden, desto mehr ist ihr Streit einer großen Gelassenheit gewichen. Sie sind beide gewiss: Am Ende wird der Messias selber zu erkennen geben, ob er der gekreuzigte und auferstandene Jesus ist oder nicht. Dann kommt der Tag, an dem beide ins Paradies kommen und dem Messias begegnen mit der erwartungsvollen Frage: „Wer bist du?“ „Halt“, fallen sich beide beinahe zur gleichen Zeit ins Wort, „verrate es nicht! Auf Erden hat keiner über den anderen triumphiert, so soll es auch im Himmel bleiben.“ Und der Messias lächelt, denn sie haben ihn beide verstanden.

Der jüdische Religionsphilosoph Martin Buber nahm einmal an einem Seminar für Juden und Christen teil. Er sagte: Wir haben viel gemeinsam. Ihr Christen glaubt, dass der Messias schon einmal hier war, wieder weggegangen ist und dass er wiederkommen wird. Wir Juden glauben, dass er kommen wird, aber dass er noch nicht hier war. Mein Vorschlag: Lasst uns doch zusammen auf ihn warten. Und wenn er kommt, können wir ihn ja selbst fragen, ob er schon einmal hier gewesen ist. Und ich werde in der Nähe stehen und ihm ins Ohr flüstern: ‚Sag nichts!‘“ (Die Bubergeschichte ist zitiert nach: Dr. Johannes Friedrich, in GPM, 4/1996, Heft 1, S. 18).

Achtung: Es gilt das gesprochene Wort.