Laudatio

Laudatio von Esther Schapira
für Peter Fischer und Makkabi e.V.

06. März 2022


Osnabrück


Aufstehen, reden, sich einmischen – mehr können wir nicht tun. Weniger dürfen wir nicht tun

Laudatio von Esther Schapira für Peter Fischer und Alon Meyer anlässlich der Verleihung der Buber-Rosenzweig-Medaille 2022 am Sonntag, 6. März 2022, in Osnabrück

- Es gilt das gesprochene Wort -

Guten Tag meine Damen und Herren, liebe Preisträger!

Eine Preisverleihung ist ein freudiges Ereignis. Eigentlich. Aber jede Freude bleibt derzeit im Hals stecken angesichts der schrecklichen Bilder aus der Ukraine. Im Vergleich zum Krieg wird plötzlich alles nebensächlich. Auch die „wichtigste Nebensache“ der Welt, der Sport im Allgemeinen, der Fußball im Besonderen.

Der russische Angriffskrieg auf den demokratischen Nachbarn Ukraine zwingt selbst FIFA und IOC anzuerkennen, was sie sonst gern leugnen: Der Sport ist immer auch Politik. Die Legende vom unpolitischen Sport, wie ein Mantra vom deutschen IOC Präsidenten Thomas Bach gerade erst wieder bei der Olympiade in China vorgetragen, sie hat nie gestimmt.

Wer Diktatoren als bunte Propaganda-Kulisse dient, macht sich mitschuldig. Und wer eine Stimme hat, die gehört wird und schweigt, ebenfalls.

Für diese Einmischung stehen die Preisträger der Buber-Rosenzweig Medaille 2022.

Mit 99% haben die Mitglieder von Eintracht Frankfurt ihren Präsidenten Peter Fischer wieder gewählt, weil er seine Stimme undiplomatisch und unüberhörbar erhoben hat gegen Rassismus, gegen Homophobie und gegen Antisemitismus und für Weltoffenheit und Toleranz.

Für seine klare Haltung erhielt Peter Fischer Drohungen und Hass – aber auch viel Zuspruch und rund 17.000 neue Vereinsmitglieder. Und ich oute mich an dieser Stelle: auch ich gehöre inzwischen deshalb dazu und eben nicht nur, weil ich seit Jahrzehnten den Adlern die Daumen drücke, den „Juddebube“ vom Main, wie Eintracht Frankfurt in den 30er Jahren genannt wurde.

Juden spielten von Anfang an eine entscheidende Rolle in der Vereinsgeschichte. Und so war es auch der Jude und KZ Überlebende Emanuel Rothschild, der unmittelbar nach dem Krieg die Neugründung des Vereins beantragte. Ein solcher Verein kann keinen Ehrenpräsidenten Rudolf Gramlich haben, der Mitglied der NSDAP und der Waffen-SS war. Peter Fischer hat diesen Skandal beendet und so dafür gesorgt, dass der Shoa-Überlebende Helmut „Sonny“ Sonneberg sich in seiner Eintracht-Familie wieder zuhause fühlen kann.

Für den heutigen Präsidenten Peter Fischer sind die jüdischen Wurzeln seiner Eintracht ein Handlungsauftrag. Er hat aus der Mitgliedschaft bei seinem Verein ein politisches Statement gemacht.

Das gleiche gilt für die Mitglieder des Sportvereins Makkabi. Unter der Leitung seines Präsidenten Alon Meyer ist aus Makkabi sehr viel mehr geworden als der kleine jüdische Sportverein, in dem ich als Jugendliche Tischtennis gespielt habe.  

Rund zweieinhalb Tausend Mitglieder hat Makkabi inzwischen und jede und jeder einzelne von ihnen, weiß, dass es gefährlich werden kann, sich mit dem T-Shirt ihres Vereins zu zeigen, weil darauf der Davidstern und hebräische Schriftzeichen zu lesen sind. Und trotzdem bekennen sie sich zu Makkabi und sehr viele nicht nur trotzdem, sondern deswegen!
Das ist auch deshalb bemerkenswert und ermutigend, weil dreiviertel der Mitglieder nicht jüdisch sind, unter ihnen viele Christen und Muslime.

Dass es Mut braucht, den Davidstern in Deutschland offen zu zeigen und dass der jüdische Sportverein immer wieder Polizeischutz braucht – das ist ein Skandal, den die Preisträger nicht tatenlos hinnehmen. Das ist die Grundlage ihrer Freundschaft und ihrer gemeinsamen Arbeit, für die Peter Fischer und Makkabi Deutschland mit dem Präsidenten Alon Meyer heute ausgezeichnet werden.

Beide kenne ich persönlich. Und ich freue mich auch als Trägerin der Buber-Rosenzweig Medaille - gemeinsam mit Georg M. Hafner - darüber, diese Laudatio halten zu dürfen. Auszeichnungen nämlich machen sich nicht nur gut im Lebenslauf, sondern sie sind eine Bestärkung und eine Verpflichtung. Diese ganz besonders.

1968 wurde die Buber-Rosenzweig Medaille zum ersten Mal verliehen. 54 Jahre später ist der Kampf gegen Antisemitismus und für Toleranz und Verständigung noch genau so wichtig und noch immer zäh und mühsam. Wer ihn führt, braucht einen langen Atem, eine hohe Frustrationstoleranz – und zuweilen eben auch Ermutigung. Deshalb ist diese Medaille so wichtig.

Liebe Preisträger, ich bin sicher, auch Sie kennen diese Situation, in denen Ihnen die verzweifelte Frage durch den Kopf schießt, ob dieser Kampf sich überhaupt lohnt angesichts der Zunahme der Rohheit, der Dummheit, des Hasses. Im Netz, auf der Straße und auch auf dem Fußballfeld.
Eben überall in der Gesellschaft. Und das leider weltweit.
Selbst ein Krieg, wie wir ihn gerade mitten in Europa erleben, ist wieder möglich, weil die Lüge zur Wahrheit erklärt wird. Der jüdische Präsident der Ukraine wird vom russischen Präsidenten als „Nazi“ angegriffen.
Diese zynische Täter/Opfer – Umkehr ist übrigens für den jüdischen Staat eine ständige Erfahrung auf allen Ebenen. Auch im Sport.

Gestatten Sie mir an dieser Stelle einen kurzen Blick 50 Jahre zurück.

Peter Fischer war gerade 16 Jahre alt. Alon Meyer noch nicht geboren: 1972.
Erstmals durften die Olympischen Spiele wieder nach Deutschland. Doch die Olympiade in München endete in einer Katastrophe – einem palästinensischen Terroranschlag auf die israelische Olympiamannschaft mitten in Deutschland mit 17 Toten. Jahrzehntelang kämpften die Angehörigen der Opfer darum, dass die olympische Welt ihrer Liebsten wenigstens einen kurzen Moment lang gedenken möge.

„Fair Play – Jeder Mensch zählt!“ Fair Play?

Wer dopt wird disqualifiziert. Doch als der Iran jetzt nach der Olympiade in Tokio alle Länder erneut aufrief, es ihm gleichzutun und nicht gegen israelische Sportler*innen anzutreten, löste das kaum Reaktionen aus. Judenhass aber ist wie politisches Doping, nein schlimmer, weil so offen und so folgenlos.

Sport verbindet, heißt es aus den VIP-Etagen der Sportfunktionäre immer und genau deshalb dürfe er sich nicht vereinnahmen lassen. Und doch tut er es jedes Mal wieder. Die Olympiade in China, die Fußballweltmeisterschaft in Quatar – zwei sportliche Großereignisse in Ländern, die Menschenrechte mit Füßen treten, zwei beschämende Beispiele allein in diesem Jahr für die korrupte Kumpanei zwischen Politik und Sport.
Sport aber kann tatsächlich verbinden, nämlich die Demokrat*innen weltweit, Menschen, die sich solidarisch für die Freiheit und die Achtung der Menschenwürde einsetzen – ohne Ausgrenzung wegen Religion, Hautfarbe, Geschlecht, Nationalität.
Erstmals beziehen nun also auch die großen Sportverbände klar Position. Denn: Der 24. Februar 2022 hat die Welt verändert und damit auch die Sportwelt. Sie ist nicht mehr heil. Nichts ist mehr heil und jede Katastrophe ist denkbar. Die „Friedensdividende“ ist aufgebraucht noch bevor die letzten Überlebenden des zweiten Weltkrieges gestorben sind.

Peter Fischer wurde nur ein Jahrzehnt danach geboren. Die Erinnerung an die Gräuel des Krieges waren in seiner Kindheit noch frisch und spürbar, auch wenn so viele Deutsche lieber von der „Stunde Null“ faselten.
Alon Meyer ist fast zwanzig Jahre jünger, aber in jüdischen Familien gilt eine andere Zeitrechnung. Der Kampf ums Weiterleben nach dem Überleben überdauert die Generationen.  Beiden ist das Engagement gegen Antisemitismus eine persönliche Verpflichtung, die aus der eigenen Lebensgeschichte folgt. Beide wissen, dass Demokratie keine Selbstverständlichkeit ist, sondern täglich neu erkämpft werden muss und dass es dabei auf jede Stimme ankommt und jede Gelegenheit.
Makkabi Deutschland und Peter Fischer nutzen die Möglichkeiten, die der Sport bietet, um vor allem junge Menschen von gesellschaftlichem Fair Play zu überzeugen. Aufstehen, reden, sich einmischen – mehr können wir nicht tun. Weniger dürfen wir nicht tun.

Und wenn diese Momente kommen, in denen die Kraft schwindet und die Zuversicht, dass Worte sich noch lohnen – dann schauen Sie in Zukunft einfach auf Ihre Buber-Rosenzweig Medaille. Ja, es lohnt sich! Bitte erheben Sie Ihre Stimme unverdrossen weiter. Herzlichen Glückwunsch!