Laudatio
Ein Leuchtturm jüdischen Lebens in Deutschland
Laudatio von Rabbiner Prof. Dr. Andreas Nachama auf das Centrum Judaicum – Stiftung Neue Synagoge anlässlich der Verleihung der Buber-Rosenzweig-Medaille am 5. März 2023 zu Erfurt
- Es gilt das gesprochene Wort -
Am 7. Mai 1995, dem Vorabend des 50. Jahrestags der Befreiung der Juden aus der nationalsozialistischen Terrorherrschaft in Deutschland, war des Abends zur Eröffnung der Neuen Synagoge als Centrum Judaicum in die Oranienburger Straße eingeladen worden.
Auf der Freifläche, auf der ehemals die große prachtvolle Synagoge Oranienburger Straße stand, waren – den ehemaligen Misrach (der Toraschrank) im Rücken Stuhlreihen aufgestellt – die Rednerbühne quasi auf der Synagogenrückseite bedacht von baulichen Resten der alten Synagoge.
Ich saß neben Klaus Schütz, ehemaliger langjähriger regierender Bürgermeister von (West) Berlin und Botschafter der Bundesrepublik Deutschland in Israel – als der Direktor des Centrum Judaicum – Stiftung Neue Synagoge - Dr. Herrmann Simon - mit seiner Eröffnungsrede anhob.
Er machte darauf aufmerksam, dass „wenige Meter von hier im Sammellager Große Hamburger Straße seine Großmutter umgekommen ist. Wir sind an der gleichen Stelle und doch nicht an derselben! Dies müssen wir uns immer wieder vor Augen halten. Wir dürfen bei der Freude über das Geschaffene niemals die tragische Vergangenheit dieser Synagoge vergessen.“
Herrmann Simon wie ich Kind von Holocaustüberlebenden hat mit diesen dürren Worten eingefangen, was die älteren und mit uns gleichaltrigen Berliner Juden in diesem Augenblick empfanden. Es begann zu regnen und der als junger Mann nach Israel emigrierte Dresdner Jude Josef Burg, seines Zeichens ehemaliger israelischer Innenminister, der einen Steinwurf von der Neuen Synagoge entfernt am Rabbiner Kolleg der Adass Gemeinde studiert hatte, sagte den vom Regen beunruhigten Zuhörern: „Regen bringt Segen!“. Mit diesen unvergesslichen Worten wurde die 1943 beim alliierten Luftangriff zerstörte Synagoge als Centrum Judaicum wiedereröffnet.
Die 50 Meter hohe goldene Kuppel, weithin sichtbar wieder die Silhouette der Stadt prägend, die kleinen Türmchen bis dahin mit grauer Luftschutzfarbe verschmiert, sind erneut Wahrzeichen jüdischer Traditionen in Berlin geworden.
Im rekonstruierten Vorderhaus mit Rotunde, Vestibül, Repräsentantensaal, Ausstellungsräumen und Vortragssaal wird jüdisches Erbe und Leben vermittelt. Das Haus steht allen offen, auch wenn es rund um die Uhr geschützt werden muss.
Im Keller ist ein rituelles Bad (Mikwe) wieder eingerichtet worden und eine kleine Synagoge thront in der dritten Etage neben einem Vortragssaal.
Die Neue Synagoge wurde nach Entwürfen von Eduard Knoblauch und Friedrich August Stüler im maurischen Stil von 1859 bis 1866 gebaut und am 5. September 1866 eingeweiht. Mit über 3000 Sitzplätzen war sie das größte jüdische Gotteshaus in Berlin und ganz Deutschland und galt zudem als das prächtigste.
Dank des Eingreifens von Revier-Oberleutnant Wilhelm Krützfeld (1880-1953), dem Vorsteher des Polizei-Abschnitts 16, blieben die Schäden in der Pogromnacht vom 9. auf den 1o. November 1938 verhältnismäßig gering, so dass von April 1939 bis zum 30. März 1940 wieder Gottesdienste stattfinden konnten.
Eine Gedenktafel an der Fassade erinnert an die Zivilcourage dieses Polizeiwachtmeisters, der unter Hinweis auf den Denkmalschutz die SA an weiterer Brandschatzung hinderte und der Feuerwehr Zugang zur brennenden Synagoge verschaffte.
Ab 1940 wurde das Gotteshaus von der Wehrmacht als Lagerhaus missbraucht. Ausgebrannt nach einem Bombenangriff in der Nacht vom 22. auf den 23. November 1943, wurde die Hauptsynagoge im Jahre 1958 gesprengt.
Ab 1988 wurde mit dem Wiederaufbau des zur Straße gelegenen Teils des Gebäudes begonnen. Zum 125. Jahrestag der Ersteinweihung, am 5. September 1991, war die Straßenfassade als eindrucksvoller Torso rekonstruiert, und über dem Portal war erneut der Spruch des Propheten Jesaja zu lesen: „Tuet auf die Pforten, daß einziehe das gerechte Volk, das bewahrt die Treue.“ – „Öffnet Tore der Gerechtigkeit! Freiheit Macht Verantwortung.“ So lautet unser diesjähriges Motto, ein Schalk, der bei dieser Parallele meint, wir hätten uns nicht vom Zitat über dem Eingang des Centrum Judaicum inspirieren lassen.
Im Unterschied zur ersten, der Alten Synagoge in der Heidereutergasse, wurde der Gottesdienst in der Neuen Synagoge nach liberalem Ritus abgehalten, unter Verwendung einer Orgel und eines gemischten Chores. Die Reform des Ritus war Teil des Integrationsprozesses der Juden in vielen Ländern, ganz besonders aber in Preußen und Berlin. Jüdische Traditionen sollten der Umgebungsgesellschaft und den veränderten Lebensumständen der Juden angepasst werden.
Jetzt – 33 Jahre nach der Wiedereinweihung - ist das Centrum Judaicum ein Leuchtturm jüdischen Lebens in Deutschland: Mit der durch Ausstellungen, Buchpublikationen und Veranstaltungen sehr erfolgreichen »Stiftung Neue Synagoge - Centrum Judaicum«, ist hier erneut ein Mittelpunkt jüdischen Lebens entstanden: Gerne erinnere ich mich an die Ausstellung im Repräsentantensaal: „Unter dem Trauhimmel – Heiraten im Jüdischen Berlin“, die nicht nur wertvolle historische Exponate zeigte, sondern auch einen aktuellen Hochzeitsvertrag, in dem die Braut vom Bräutigam nicht mehr wie in den traditionellen Vorlagen erkauft wird, sondern beide Hochzeitspartner gleichberechtigt unterschrieben und sich Liebe und Treue gegenseitig geloben.
Auch unvergessen eine Podiumsdiskussion im Jahr 2001 mit dem damals schon emeritierten Berliner Gemeinderabbiner Ernst Stein. Dort bekannte anlässlich des 10. Jahrestages der deutschen Vereinigung im großen Vortragssaal des Centrum Judaicum ein Ost-Berliner Jude seinen großen Schmerz, dass es nicht gelungen sei, ein sozialistisches Deutschland zu bewahren, während der west-Berliner Rabbiner Sein bekannte, dass ihm zwei Deutschlands lieber waren als eines.
Das Centrum Judaicum ist alle Jahre hindurch nicht nur ein jüdisches Museum und ein Archiv vergangener Zeiten, sondern insbesondere ein Ort der jüdischen Gegenwarts- und Zukunftsbestimmung. Deshalb würdigt der Deutsche Koordinierungsrat der Gesellschaften für Christlich-jüdische Zusammenarbeit das seit 2015 von Dr. Anja Siegemund geleitete Centrum Judaicum -Stiftung Neue Synagoge Berlin“ mit der Buber-Rosenzweig-Medaille. Anja Siegemunds Wunsch und Vision für die Stiftung Neue Synagoge Berlin – Centrum Judaicum: Es soll „ein Museum sein,
• das als Erinnerungsort die Relevanz von Geschichte fürs Heute reflektiert und diskutiert,
• das in Ausstellungen, Veranstaltungen und Bildungsangeboten die Vielfalt jüdischer Kulturen und Identitäten als Teil Berlins in Geschichte und Gegenwart vermittelt,
• das „Tuet auf die Pforten“ immer mehr in Form eines offenen Hauses und Ortes des Zusammenkommens der jüdischen und nichtjüdischen Communities verwirklichen kann.“
„Regen bringt Segen!“. Mit diesen unvergesslichen Worten wurde also die 1943 beim alliierten Luftangriff zerstörte Synagoge 1995 als Centrum Judaicum wiedereröffnet: Jetzt tuet auf die Pforten und lernt und lehrt und lebt jüdisches Leben!
Es gilt das gesprochene Wort