Eröffnungsansprache von Dr. Eva Schulz-Jander

Ansprache von Dr. Eva Schulz-Jander, katholische Präsidentin des Deutschen Koordinierungsrates, zur Eröffnung der Woche der Brüderlichkeit, 3. März 2013 in Kassel


Willkommen in Kassel, der Stadt Franz Rosenzweigs. Ich begrüße ich Sie alle aufs Herzlichste!

Insbesondere begrüße ich unsere Gastgeber:

den Ministerpräsidenten des Landes Hessen, Herrn Volker Bouffier und
den Oberbürgermeister der Stadt Kassel, Herrn Bertram Hilgen

ferner begrüße ich

den Botschafter des Staates Israel, seine Exzellenz Herrn Yakov Hadas-Handelsmann
die Vertreter und Vertreterinnen der christlichen Kirchen, der Jüdischen Gemeinden, der muslimischen Gemeinden, und der politischen Parteien, der Wirtschaft und Kultur.

Sowie die

anwesenden Vertreter und Vertreterinnen der über 80 Gesellschaften für christlich-jüdische Zusammenarbeit in Deutschland.

Ganz besonders herzlich begrüße ich

unsere Preisträger Mirjam Pressler und Prof. Dr. Raphael Gross für das Fritz-Bauer-Institut. Ebenso herzlich begrüße ich die Laudatorin  Charlotte Knobloch, Präsidentin der israelitischen  Kultusgemeinde München und Oberbayern.

Das Jahr 2013 ist ein Jahr des Erinnerns. 80 Jahre sind es her, dass die Nationalsozialisten die Macht ergriffen und eine mörderische Barbarei zum politischen Handlungsprinzip erhoben. 75 Jahre ist es her, als im deutschen Reich in der sogenannten Reichskristallnacht die Flammen loderten – Flammen, die den Auftakt zur Vernichtung des europäischen Judentums in grellem Licht anzeigten, sichtbar für jedermann und jederfrau.

Aber klingt das Wort Erinnern nicht zu rückwärtsgewandt, in einer Zeit, in der vor allem die Zukunft auf der Agenda steht?  Ja, aber, müssen wir nicht wissen, woher wir kommen, um zu wissen wohin wir gehen? Wie der Engel der Geschichte von Paul Klee treiben wir unaufhaltsam in die Zukunft, wohlwissend um die Trümmer der Vergangenheit. Und so lautet unser Jahresthema 2013 auch Sachor (Gedenke) der Zukunft ein Gedächtnis. Ist der Satz nicht unvollständig, fehlt ihm etwa das Verb? Mündet er in einer Aufforderung, einem Aufschrei, oder einer Aussage? Egal welches Verb sie anfügen möchten, egal ob Aufforderung, Aufschrei oder Aussage, es ist ein offen formulierter Satz so offen wie die Zukunft selbst.

Und die einzelnen Worte darin? "Sachor" Erinnere Dich oder Gedenke ein Imperativ aus  der hebräischen Bibel, 169-mal wiederholt, letztendlich nichts anderes als Existenzsicherung oder Zukunft durch Erinnern. Und Gedächtnis – wie unterscheidet es sich von Erinnerung? Vielleicht können wir im Bezug auf das Jahresthema die etwas grobe Unterscheidung akzeptieren, dass Erinnerung etwas Bestimmtes beinhaltet, während Gedächtnis, einem Speicher ähnlich, die Erinnerungen sammelt und sie, wenn nötig zur Verfügung stellt, dem Individuum sowie einer Gesellschaft. In anderen Worten – Gedächtnis ermöglicht Erinnerung. Zukunft verantwortungsvoll zu gestalten bedeutet Wissen um die Vergangenheit ihre Verfehlungen und Irrwege. Das Gedächtnis speichert, wir müssen auswählen.

Dem Gedächtnis stehen verschiedene Medien des Erinnerns zur Verfügung so beispielsweise die Wissenschaft oder die Literatur.  Und zwei Vertreter dieser  Medien des Erinnerns ehren wir heute mit der Buber-Rosenzweig-Medaille.

In ihren Texten gibt Miriam Pressler der Vergangenheit ein Gesicht. Das Fritz-Bauer-Institut hat der bundesdeutschen Öffentlichkeit eine vielschichtige Erinnerungskultur geschenkt. Sie, verehrte Frau Knobloch, werden in Ihrer Laudatio die Leistungen beider Preisträger entsprechend zu würdigen wissen.

In diesem Jahr findet die zentrale Eröffnung der Woche der Brüderlichkeit in Kassel statt, der Stadt Franz Rosenzweigs aber auch die Stadt, in der Roland Freisler im Stadtparlament Hetzreden hielt.  Das Erbe Franz Rosenzweigs, eine große intellektuelle Wahrhaftigkeit, hat die Stadt angenommen. Bereits 1979 beschloss die Stadtverordnetenversammlung einstimmig, der noch jungen Hochschule den Auftrag zu erteilen, die Geschichte Kassels im Nationalsozialismus zu erforschen. Neben diesen stadtgeschichtlichen Forschungen wurde mit der Einrichtung einer Franz Rosenzweig Gastprofessur an der Universität das Erbe Franz Rosenzweigs gepflegt. Internationale Rosenzweig Kongresse und Ausstellungen zu Rosenzweig und zu jüdischem Leben vor 1933 vergegenwärtigten die andere Geschichte der Stadt.  Die Auseinandersetzung mit der dunklen Seite der Geschichte dauert bis in die Gegenwart an.  So wurde die Veranstaltungsreihe zur 1100-Jahr-Feier der Stadt mit einem Vortrag zum Thema „Eine Stadt entgleist. Kassel in der Zeit des Nationalsozialismus“ eröffnet. Sachor Der Zukunft ein Gedächtnis.

ntisemitismus, Fremdenfeindlichkeit, und Rassismus sind bei weitem nicht in den Annalen der Geschichte verschwunden.  Nein, sie zeigen ihr Zerrbild im Hier und Jetzt.  Ich möchte nur an den Angriff auf einen Berliner Rabbiner, oder auf den Generalsekretär des Zentralrats der Juden, an den stellenweise abscheulichen, menschen-entwürdigenden Ton der Beschneidungsdebatte, oder an die abstoßenden Morde  der Terrorzellen der NSU, einer davon in Kassel, erinnern. Und immer wieder begegnet uns der getarnte Antisemitismus in der sogenannten „es-wird-doch-wohl-erlaubt-sein“ Israelkritik. Nichts davon gehört in unser Land.  Es sind immer Angriffe auf unsere Demokratie. Handeln wir gemäß unseren Überzeugungen und schützen wir das kostbare Gut – Demokratie.  Wir brauchen das Gedächtnis, das die lichte und dunkle Seite der Vergangenheit enthält, und im Bewusstsein beider können wir die Zukunft bauen. Öffnen wir unsere Augen, Ohren und Herzen um der Zukunft willen.

Es ist mir eine Freude und Ehre zugleich, die Woche der Brüderlichkeit 2013 in Kassel zu eröffnen.