Aufeinander hören – Miteinander leben

Ansprache des Evangelischen Präsidenten des Deutschen Koordinierungsrates Pfr. Ricklef Münnich bei der Eröffnung der Woche der Brüderlichkeit am 13. März 2011 in Minden


Sehr verehrte Frau Ministerpräsidentin,
sehr geehrter Herr Bürgermeister,
Exzellenzen und Herren Rabbiner,
sehr geehrter Herr Präses,
sehr geehrter Herr Erzbischof
Frau Ministerin Löhrmann,
Damen und Herren Abgeordnete,
verehrte Gäste,


der Deutsche Koordinierungsrat der mehr als 80 Gesellschaften für christlich-jüdische Zusammenarbeit ist glücklich, mit der heutigen Eröffnung der Woche der Brüderlichkeit nach 43 Jahren nach Minden zurückzukehren. Hier verlieh er 1968 zum ersten Mal die Buber-Rosenzweig-Medaille.

Die Auszeichnung birgt den Namen Martin Bubers. Buber wies dem Dialog eine Existenz stiftende Bedeutung zu. „Ich und Du“, lautet sein philosophisches Hauptwerk. Er bekennt darin: „Ich werde am Du“, „der Mensch wird am Du zum Ich“, „alles wirkliche Leben ist Begegnung“.

Die Stadt an der Weser, in deren Gründungslegende sich vor 1200 Jahren Franken und Sachsen begegneten, trägt den Dialog in ihrem Namen. „Min unde Din“, mein und dein, „Ich und Du“. So gibt es keinen geeigneteren Ort für den Beginn und das Motto der diesjährigen bundesweiten Woche der Brüderlichkeit: „Aufeinander hören – miteinander leben.“

Zwischen Minden 1968 und Minden heute liegt ein Weg, der die Geschichte veränderte. Bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts haben Kirchen und Christen nicht auf Juden gehört. Im Gegenteil, sie haben definiert und bestimmt, wer Juden sind, was sie sind und sogar, wie und wo sie zu leben haben. Das war die jüngst viel beschworene christlich-jüdische Geschichte. Ihr lag christlicherseits die Haltung zugrunde: „Min is min und din is min“. Schon die berühmten „Sprüche der Väter“ aus dem 3. Jahrhundert der jüdischen Überlieferung nennen diese Sinnesart „gottlos“.

Als Begründung für christliche Judenfeindschaft diente das jüdische Nein zu Jesus als Christus, dem Retter und Erlöser. Heute erscheint uns dieses jüdische Nein geschichtlich verständlich: Wenn Juden von Seiten der christlichen Mehrheitsgesellschaft nicht Begegnung und Bewahrung, sondern Verfolgung erlebten, wie konnten sie den Herrn der Christen dann als Retter erleben?

Es waren Theologen wie Friedrich-Wilhelm Marquardt, der an dieser Stelle vor 43 Jahren die Buber-Rosenzweig-Medaille empfing, die gezeigt haben: „Wir werden den christlichen Antijudaismus erst hinter uns haben, wenn es uns theologisch gelingt, mit dem jüdischen Nein zu Jesus Christus etwas Positives anzufangen.“ Judenfeindschaft ist überwunden, wenn wir Kirche nicht weiter triumphalistisch als Ziel aller Wege Gottes begreifen, sondern das jüdische Selbstverständnis als Volk Gottes und im Bund mit Gott in unseren eigenen Glauben integrieren.

Damit begann Dialog, und christlich-jüdische Begegnung auf Augenhöhe wurde möglich. Es war ein gewaltiger Fortschritt, in diesem Gespräch das zu erleben, was die „Sprüche der Väter“ lediglich den Normalfall nennen: „Min is min und din is din“.

Dieser Dialog ist in den Gesellschaften für christlich-jüdische Zusammenarbeit nun so gefestigt, dass sie in diesem Jahr mit dem Schriftsteller und Islamwissenschaftler Navid Kermani erstmals einen Muslim mit der Buber-Rosenzweig-Medaille auszeichnen. Die Ehrung gilt natürlich in erster Linie der Person und dem Werk Kermanis, die Sie, Herr Dr. Lagodinsky, nachher in Ihrer Laudatio würdigen werden. Aber ich will nicht bestreiten, mit dieser Ehrung von Ihnen, lieber Herr Kermani, als eines in Deutschland geborenen Muslim iranischer Abstammung will der Deutsche Koordinierungsrat auch ein kleines Zeichen setzen.

Die Muslime gehören zu Deutschland. Und ob es allen gefällt oder nicht, Deutschland ist ohne seine Muslime nicht mehr zu denken. Wer anderes redet, dem fehlt jeglicher Realitätssinn und der hat aus der beschriebenen christlich-jüdischen Geschichte nichts gelernt!

Und weil die Muslime zu Deutschland gehören, gehört auch der Islam zu Deutschland. Wir sind auf der Grundlage der Erfahrungen des christlich-jüdischen Dialogs und des heutigen Zusammenlebens von Juden und Christen überzeugt, dass die drei Religionen eine gemeinsame und zukunftsfähige Gesellschaft verwirklichen können und verwirklichen werden.

Um wirklich miteinander leben zu können, müssen wir anfangen und lernen, aufeinander zu hören. Was wissen wir von den Muslimen in Deutschland? Hier sind wir noch ganz am Anfang. Jeder Dialog muss mit einem aufmerksamen Zuhören und nicht mit einem „Zutexten“ beginnen. Wir ermutigen die muslimischen Bürger, auch von ihrer Religion zu sprechen. Wenn wir den Islam nicht bewerten oder abwerten, sondern die Muslime ihn erzählen lassen, stärken wir den Islam. Wir brauchen den Islam, einen starken dialogfähigen Islam – auch und besonders im Kampf gegen den fundamentalistischen, gesprächsverweigernden Islamismus!

Die Zukunft ist: Die in den Wurzeln christlich-jüdisch geprägte Mehrheitsgesellschaft schenkt dem Islam in seiner Mitte das beste, was wir haben: Gegenseitige Akzeptanz durch ein in der Begegnung, im Dialog gewachsenes Verständnis sowie Kenntnis der kulturellen und religiösen Unterschiede, die aufgehoben sind in einem pluralen demokratischen Staatswesen.

Einfacher mit den „Sprüchen der Väter“ gesagt: „Min is din und din is din“. Solche Lebenshaltung wird dort einzig „eine gottgemäße“ genannt.

Die Woche der Brüderlichkeit 2011 in Min-Den ist eröffnet!