Themenheft online 2019: "Mensch, wo bist Du? Gemeinsam gegen Judenfeindschaft"
Rede beim Festakt in Nürnberg aus Anlass des 70. Gründungstages des Staates Israel, 15. April 2018
Charlotte Knobloch
– Es gilt das gesprochene Wort –
Anrede,
ich darf zunächst Ihnen, sehr verehrter Herr Oberbürgermeister Dr. Maly und der Stadt Nürnberg danken, dass Sie dem Jubiläum des Staates Israel diesen Tag, diese Aufmerksamkeit und diese Ehre zuteilwerden lassen.
Mein Dank gilt auch Ihnen, sehr verehrter Herr Staatsminister Herrmann, für Ihr Kommen und Ihre Worte der Freundschaft und Verantwortung. Sie haben jüngst eindringlich klargestellt, dass die Menschen in unserem Land erwarten, dass sich Zuwanderer, die in unserem Land leben wollen und dürfen, mithilfe des Staates in unsere Gesellschaft integrieren. Stets betonen Sie, dass es für diese Integration unerlässlich ist, jede Form von Antisemitismus abzulehnen, das Existenzrecht des Staates Israel anzuerkennen und die gewachsene deutsche Erinnerungskultur mitzutragen. Ich danke Ihnen für Ihre Klarheit und Ihren konsequenten Kampf gegen Extremismus aller Art.
Verehrte Anwesende,
meine Vorredner haben das besondere deutsch-israelische, bayerisch-israelische Verhältnis angesprochen. Uns eint eben nicht nur das Band der Vergangenheit – eine ungeheuerliche Geschichte von Gräuel und Grausamkeit.
Uns einen gemeinsame Werte und Ziele in der Gegenwart – als demokratische Staaten. Als solche sind wir auf dieser Welt wieder öfter und stärker gefordert und herausgefordert. Unsere Gesellschaften müssen sich bewähren – nach innen und nach außen. Unsere Freiheitlichkeit muss sich bewähren. Unsere Demokratien, unsere Wehrhaftigkeit müssen sich bewähren – nach innen und nach außen.
Gemeinsam müssen wir den technologischen Fortschritt nutzen, vorantreiben und bewältigen. Politik, Wissenschaft, Wirtschaft, Kultur, Digitalisierung, Globalisierung, Geschichts- und Gegenwartsbewusstsein, Tradition und Religion – all diese Einflussbereiche und Impulse werden nicht nur immer weniger trennscharf, sondern verändern sich schneller und unvorhersehbar.
Politisch wie zivilisatorisch stehen wir vor ungeahnten Herausforderungen und deskriptiven Wandlungsprozessen.
Umso mehr gilt es, gemeinsam den destruktiven Kräften im Innern und von außen zu widerstehen und sie entschlossen, kompromisslos zu bekämpfen – in Solidarität, in Freundschaft, in Partnerschaft und gegenseitiger Empathie.
Verehrte Anwesende,
meine Heimat ist Deutschland, meine Heimat ist Bayern, meine Heimat ist München.
Ich werde das nie mit Selbstverständlichkeit sagen. Aber ich sage es von Herzen, aus Überzeugung. Selbst an diesem Ort, der unvollendet gebliebenen NS-Kongresshalle, die als Monument des menschenverachtenden Größenwahns ihre Zeit überdauert hat.
Verehrte Anwesende,
ich bin trotz alldem Deutsche geblieben –deutsche Jüdin. Dennoch spielt der jüdische Staat auch in meinem Leben eine Rolle. Nicht allein, weil eine meiner Töchter, Enkel und Urenkel dort leben. Sondern auch, weil ich bis zum heutigen Tag in meinem Herzen spüre, wie es sich anfühlte, als wir – die Überlebenden – im Jahr 1948 auf den Straßen tanzten, als die Unabhängigkeit Israels ausgerufen und die Staatsgründung – dieser Traum – Realität wurde. Es war die ergreifendste Radiosendung, die ich in meinem Leben gehört habe.
Ich hatte nie vor, nach Israel auszuwandern. Aber zu wissen, dass nun das jüdische Volk, das über Jahrtausende verfolgt, vertrieben, vernichtet worden war, jenen Schutz- und Zufluchtsort hatte, der meiner Großmutter und sechs Millionen anderen ermordeten jüdischen Menschen verwehrt war, machte und macht mich glücklich.
Verehrte Anwesende,
in der Unabhängigkeitserklärung des Staates Israel heißt es: „Es ist das natürliche Recht des jüdischen Volkes, ein Leben wie jedes andere Volk in einem eigenen souveränen Staat zu führen“. – Es ist derselbe sehnliche Wunsch nach Normalität, den auch die deutsche jüdische Gemeinschaft bis heute hegt.
Bis heute wird Israel von seinen Feinden latent und akut existenziell bedroht. Die Auslöschung Israels ist das erklärte Ziel des Iran, der Hisbollah, der Hamas und etlicher islamistischer Terrorgruppen sowie der mit ihnen solidarischen Regime. Während Saudi Arabien seine Strategie ändert, profiliert sich der türkische Präsident mit antisemitischem Gebaren.
Dass die völlig zu Unrecht glorifizierte, in Wahrheit antisemitisch durchsetzten UN, deren Menschenrechtskommission gegen Israel fast so viele Resolutionen erlassen hat wie gegen sämtliche anderen Staaten zusammen, sich nicht an die Seite Israels stellt, ist klar. Aber Europa? Dass Israel auch in der Europäischen Union oft vergeblich treue Freunde und Fürsprecher sucht, ist eine Schande.
Nur der jüdische Staat ist es, dessen Existenzrecht und souveränes Handeln immer wieder infrage stehen und debattiert werden. Nur für Israel gibt es den Begriff „Israelkritik“, der nun auch Einzug in den Duden gefunden hat – als einzige Wendung dieser Art.
Wie kein anderer Staat sieht sich der jüdische und demokratische Staat Israel bis in die höchsten politischen und gesellschaftlichen Ebenen mit einem Übermaß an Belehrungen, Anmaßungen, irrationalen Anschuldigungen und haltloser Agitation konfrontiert. – Es ist unsere Pflicht, meine sehr verehrten Damen und Herren, in Politik und Gesellschaft diese Ungerechtigkeit zu bekämpfen.
Die Solidarität und das Einstehen nicht nur für die Sicherheit Israels, sondern auch für Fairness und Empathie mit dem jüdischen Staat ist nicht Aufgabe der jüdischen Gemeinden in der Diaspora. Es ist Aufgabe ihrer Heimatländer. – Es ist unsere Pflicht als Demokratinnen und Demokraten. Unsere Pflicht als Menschen.
Diese Verantwortung erwächst nicht aus der Vergangenheit. Sie erwächst aus unseren heutigen freiheitlich-demokratischen Prinzipien und Überzeugungen. Wir schulden nicht Israel diese Loyalität und Freundschaft. Wir schulden sie uns, unseren Werten, unserem Selbstverständnis als freie Welt.
Verehrte Anwesende,
nicht als Jüdin werbe ich für das jüdische, demokratische Israel, nicht als Deutsche – sondern als Demokratin, als Mensch. Und als solcher danke ich Ihnen allen, die wir uns zu dieser, unserer Verantwortung bekennen.
In diesem Sinne feiern wir die Existenz und die Unabhängigkeit dieses kleinen, wunderbaren Landes. Wir feiern die Menschen in Israel, die mit unglaublicher Kraft und Selbstvertrauen in unvergleichlicher Weise einen einzigartig pluralistischen, innovativen, kreativen, florierenden, pulsierenden Staat aufgebaut und verteidigt haben – gegen alle Angriffe, wie sie kein anderes Land abwehren muss.
Wir feiern die Wirklichkeit gewordene Vision von einem jüdischen Staat, einer Heimat. Wir feiern dieses Wunder!
Am Israel chai!
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!
Dr. h.c. Charlotte Knobloch ist Präsidentin
der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern,
ehemalige Präsidentin des Zentralrats der Juden in Deutschland
und WJC-Commissioner for Holocaust Memory
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