"Angst überwinden - Brücken bauen" - Grußwort

Grußwort von Ministerpräsident Armin Laschet im Rahmen der Zentralen Eröffnungsfeier der Woche der Brüderlichkeit am 11. März 2018 im Ruhrfestspielhaus Recklinghausen



Festliche Versammlung,  es freut mich sehr, dass wir die Woche der Brüderlichkeit in diesem Jahr (zuletzt 2011 in Minden) in Nordrhein-Westfalen eröffnen können.

Hier in Nordrhein-Westfalen hat das Zusammenleben von Juden und Christen weit zurückreichende Wurzeln.

So waren Juden in der römischen Zeit in Köln bereits Teil des Landes, aber der erste, namentlich erwähnte, bekannte deutsche Jude hieß Isaak. Isaak war ein Kaufmann in meiner Heimatstadt  in Aachen.

Es ist gesichert, dass er im Jahr 797 Teil einer Gesandtschaft war, die Karl der Große zu Harun al Raschid nach Bagdad geschickt hat. Isaak verhandelte dort mit dem Kalifen über einen besseren Zugang zu den heiligen Stätten für christliche Pilger. Mit Erfolg, denn in Jerusalem wurde in der Folge u.a. ein lateinisches Pilgerhospiz mit einer eigenen Kirche gegründet.

Das ist bewegend, wenn man sich erinnert, dass es vor über 1200 Jahren einen solchen Dialog der Religionen gab. Und vielleicht war Isaak so etwas wie ein früher „Botschafter der Völkerverständigung“.

Und Botschafter der Völkerverständigung braucht man immer wieder, und deshalb gratuliere ich Peter Maffay ganz herzlich dazu, dass er für die heutige Zeit - auch in seiner Art junge Menschen zu begeistern - zu einem Botschafter der Völkerverständigung wird. Denn wer die Buber-Rosenzweig-Medaille erhält, der ist ein Botschafter der Völkerverständigung. Deshalb: Herzlichen Glückwunsch.

Lassen Sie mich an dieser Stelle einige Gedanken zu Martin Buber sagen. Seit meiner frühesten Jugend hat mich Martin Buber begleitet. Im Flur meiner heutigen Schwiegereltern hängt eine Kalligraphie mit einer Psalm-Übersetzung in der eigenen, der Buberschen Sprache. Mein Schwiegervater konnte begeisternd von der Ich-Du-Philosophie Martin Bubers erzählen.

Der Gedanke, dass das eigene Ich immer in Beziehungen zu einem Du, einem anderen steht, das gibt dem Menschen Identität und Würde. Dieses dialogische Prinzip, auch der Beziehung zu Gott, ist zutiefst friedensstiftend. Und wenn ich in späteren Jahren immer und immer wieder Schalom Ben-Chorin - auch ein Träger der Buber-Rosenzweig-Medaille - getroffen habe, dann konnte er so lebendig über Martin Buber sprechen, so dass ich es bis heute nicht vergessen habe.
Gestern habe ich noch einmal nachgelesen, in der Rede, die Martin Buber 1953 als Friedenspreisträger des Deutschen Buchhandels in der Frankfurter Paulskirche, nur 8 Jahre nach der Befreiung von Auschwitz gehalten hat:

„Daß die Völker, die Völkermenschen kein echtes Gespräch mehr miteinander führen können, ist nicht bloß das aktuellste, es ist auch das uns am dringendsten anfordernde Phänomen der Pathologie unserer Zeit.
Ich glaube trotz allem, daß die Völker in dieser Stunde ins Gespräch, in ein echtes Gespräch miteinander kommen können. Ein echtes Gespräch ist eins, in dem jeder der Partner den andern, auch wo er in einem Gegensatz zu ihm steht, als diesen existenten andern wahrnimmt, bejaht und bestätigt; nur so kann der Gegensatz zwar gewiß nicht aus der Welt geschafft, aber menschlich ausgetragen und der Überwindung zugeführt werden.“

Das passt in unsere heutige Zeit. Die Andersheit, oder wie Buber sagen würde „Anderheit“ anerkennen und menschlich Gegensätze austragen - wie wichtig ist das gerade heute, wo Anderheit, andere Meinung, andere Religion, andere Kultur bei Twitter und Facebook nur zu anonymen Hass mit Fake-News führen. Da ist kein Ich, weil anonym, und kein Du, weil nur pauschale Aggression gegen „die anderen“ gerichtet wird.

Ich bin überzeugt, dass wir diese große Bedeutung von wirklichem Dialog und unmittelbarer Begegnung in unseren digital gewordenen Zeiten wieder viel größer schreiben müssen. Auch deshalb, weil wir die Lehren der Geschichte nicht über einen Chat, sondern in direkten Gespräche – z. B. an den Schulen – am besten weitergeben können.

Deshalb fördern wir das als Land den Schüleraustausch mit Israel. Wir haben ihn 2007 wiederbelebt. Mit dabei war Peter Maffay. Zusammen sind wir mit Jugendlichen nach Israel gereist und am Dialog zwischen israelischen, palästinensischen und deutschen Jugendlichen mitgewirkt. Das ist ein ganz wichtiges Instrument, Vorurteile abzubauen durch persönliche Begegnung.

Heute gibt es weit über 80 Gesellschaften für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit, die sich für den Dialog zwischen Juden und Christen und Angehörigen weiterer Religionen und Weltanschauungen einsetzen. Die allermeisten Mitglieder aller Christlich-Jüdischen Gesellschaften in Deutschland engagieren sich ehrenamtlich. Für diesen besonderen Einsatz für Versöhnung und Verständigung möchte ich Ihnen allen von Herzen danken!

Ich möchte Ihnen auch sagen, dass wir als Land alles tun, um unser friedliches Zusammenleben zu fördern und zu schützen, damit insbesondere Jüdinnen und Juden in Deutschland sicher leben können.

Es ist höchst alarmierend, wenn Josef Schuster in der Süddeutschen Zeitung vor ein paar Tagen sagt, dass Juden in Deutschland zwar nicht auf gepackten Koffern säßen, aber, ich zitiere: „der eine oder andere schaut schon mal nach, wo er die Koffer hingestellt hat.“ (SZ vom 6. März 2018)

Das ist etwas, was uns alarmieren sollte. Und deshalb müssen wir gegen jede Form von Antisemitismus auftreten. Deshalb ist die Woche der Brüderlichkeit gerade in der heutigen Zeit so wichtig.

Und ich denke, dass das, was 70 Jahre erarbeitet worden ist, was dann in den Sechziger Jahren mit dem großen Konzilsdokument „Nostra aetate“ neu justiert wurde - auch im Hinblick auf das Verhältnis der Religionen - dass wir in der Einwanderungsgesellschaft heute noch einmal auch mit Juden, Christen und Muslimen, das neu justieren müssen. „Nostra aetate - in unserer Zeit  - hieß das damals. In unserer heutigen Zeit ist dieser neue Aspekt der Einwanderungsgesellschaft etwas, das wir uns vornehmen müssen.

Und deshalb ist mein Wunsch, dass wir es schaffen, in diesem Jahr bei der Reichspogromnacht am 9. November, wo sich das schreckliche Ereignis zum 80. Mal jährt, dass wir es schaffen, dass Christen, Juden und Muslime in Nordrhein-Westfalen sich gleichermaßen gegen diesen Hass, gegen diesen Völkermord, gegen diesen Antisemitismus in einer gemeinsamen Erklärung wehren. Das wäre ein schönes Signal für unser Land.

Auch hier darf man jetzt nicht die Dinge gegeneinander ausspielen. Wenn manche jetzt erklären, denen eigentlich eine humanitäre Flüchtlingspolitik nicht passt, der Antisemitismus sei eingewandert, dann muss ich sagen: der Antisemitismus ist lange vor dem ersten Einwanderer hier gewesen. Er war sehr deutsch und er war immer da. Und das muss man als erstes formulieren.

Aber man muss als zweites sagen: Ja, es sind auch Menschen eingewandert mit zum Teil anti-israelischer - wenn es politisch war - aber auch antisemitischer Erziehung, die sie auch geprägt hat. Das ist eine neue Situation und hier gegen gemeinsam vorzugehen, nicht dulden, dass israelische Fahnen, dass Davidssterne verbrannt werden, ist eine Aufforderung an unsere heutige Gesellschaft. Da ist ein klares Bekenntnis erforderlich.

Und da brauchen wir jeweils die andere Religion, jeweils die Anderheit, wo die Muslime sagen „wir sind dagegen, dass ihr den Religionskonflikt für euch instrumentalisiert“.

Aber wenn in der letzten Nacht in Deutschland an zwei drei Orten wieder Moscheen gebrannt haben, dann müssen Christen und Juden sagen: „Wir akzeptieren auch keine Anschläge auf Moscheen.“

Wenn wir das so zusammen hinkriegen, wenn uns das gelingt, dann hat die Woche der Brüderlichkeit noch große Aufgaben in den nächsten Jahren vor sich. Für diese Woche, die heute beginnt, wünsche ich viele Begegnungen, viel „Ich“ und „Du“ im dialogischen Prinzip von Martin Buber.

Vielen Dank!