Versöhnender Grenzgänger zwischen jüdischer und christlicher Kultur
Laudatio von Katrin Göring-Eckardt, Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages und Präses der Synode der EKD, anlässlich der Verleihung der Buber-Rosenzweig-Medaille an Daniel Libeskind am 07. März 2010 in Augsburg
(Anrede,)
während ich mich in den letzten Wochen eingehender mit dem Leben und Werk von Daniel Libeskind beschäftigte, fand ich in seiner Autobiografie „Breaking Ground“ eine Stelle, die uns – über einen Seitenweg - vielleicht zu einem tieferen Verständnis seiner Architektur führen könnte. Daniel Libeskind erzählt dort, wie er zu seinem Nachnamen kam: Sein Großvater, der mit seiner Familie im polnischen Lodz lebte, wurde eines Tages gezwungen, seinen traditionellen Namen Nachman ben Chaim zu ändern. Zur Entscheidung gezwungen, wählte er seinen alten Spitznamen „Libeskind“. Als er sich ins Register eintrug, ließ er bewusst den Buchstaben „e“ weg – so dass der Nachnamen jiddisch klang und nicht mit einem deutschen Namen verwechselt werden konnte.
Das Weglassen scheint mir wesentlich für die Herangehensweise des Architekten Daniel Libeskind zu sein. Oft fehlt etwas. Eine Tür, ein Raum, ein Gang. Und das sorgt dann für Verwunderung wenn nicht sogar für Verstörung. Im Felix Nussbaum-Haus in Osnabrück gibt es zum Beispiel keinen richtigen Ausgang, weshalb Daniel Libeskind dieses Gebäude – übrigens das allererste, das er je realisierte - auch „Museum ohne Ausgang“ nannte.
Der Mangel, das Fehlen, die Leere: Am prominentesten ist diese Idee im Jüdischen Museum in Berlin umgesetzt. Die sogenannten „Voids“, die Leerräume, sind paradoxerweise das wichtigste Strukturelement des Museums – und diese Leerräume sorgen beim Besucher für eine Irritation, ja für einen Orientierungsverlust. Wir fühlen uns buchstäblich deplatziert. Als ich das damals noch komplett leere Museum besuchte, haben mich diese „Voids“ regelrecht erschüttert. Es war eine körperliche Erfahrung. Ich taumelte durch die kahlen Räume. Sehr unmittelbar und direkt, ohne den Umweg der Sprache, wurde mir – wie vielen Tausend Besuchern auch – ins Bewusstsein gerufen, dass das von den Nazis ausgelöschte jüdische Leben unwiederbringlich ist. Da ist kein Sinn. Da ist nichts anderes als Leere.
Und so sind insbesondere die Museumsbauten von Daniel Libeskind gebaute Erinnerungskultur. Sie erinnern uns an die Geschichte und die vielen menschlichen Geschichten, die in ihr stattgefunden haben und mit ihr vergangen sind. Sie erinnern uns durch ihre schiere Präsenz daran, dass es keinen Schlussstrich unter das Vergangene geben kann. Wie das unverjährbare Menschheitsverbrechen der Shoah ragen sie im wahrsten Sinne des Wortes mahnend in die Gegenwart hinein.
Wenn ich eben von dem Gefühl der Deplatzierung gesprochen habe, dann verweist das natürlich auf den Kern der jüdischen Erfahrung, die Erfahrung der Wanderschaft und der Diaspora. Daniel Libeskind selbst hat dazu einmal gesagt - Zitat: „Keinen Ort zu haben, ist für mich auch ein Erbe, eine historische Bedingung, nicht nur eine gewählte (…) auch, was die zeitgenössische Geschichte angeht und mehr und mehr Menschen betrifft. (…) Es ist diese sehr globale Heimatlosigkeit, die mehr und mehr zu einer Erfahrung für jeden wird.“
Bestimmt wollte er damit nicht sagen, dass wir heute alle so unterwegs sind, wie Juden es in der Geschichte immer wieder – unter Zwang! - waren. Eher ist es als Hinweis zu verstehen, dass er als Jude einen besonders scharfen und genauen Blick auf die entwurzelnden Wirkungen der Globalisierung haben könnte. Und die Aufgabe der Architektur wäre es dann eben nicht, über diese Tatsache hinwegzutäuschen, sondern in der Heimatlosigkeit eine Bleibe zu schaffen. Ein imponierendes Merkmal der von Daniel Libeskind geschaffenen Museumsräume ist es denn auch, dass sie keine trügerische Harmonie schaffen. Sie konfrontieren uns mit existenziellen Sinnfragen und Widersprüchen. Doch zugleich fühlen wir uns an ihnen richtig und aufgehoben – gerade weil sie unser Innerstes ansprechen und nicht nur an der Oberfläche wirken. Dadurch geben sie uns so etwas wie Heimat, denn sie sind Orte, die uns aufnehmen. Und so ist es auch kein Wunder, dass Daniel Libeskind-Bauten in den jeweiligen Orten – ob in Berlin, Manchester oder Osnabrück – als Identität stiftend wahrgenommen werden. Sie gehören zur Stadt weil sie deren Bürgerinnen und Bürger dazu gehören lassen.
Klar sollte aber auch sein: Das Werk von Daniel Libeskind lässt sich nicht auf die jüdische Identität des Architekten reduzieren. Dafür sind die Einflüsse viel zu vielfältig. Literatur, Malerei, Philosophie und insbesondere die Musik sind wichtige Inspirationsquellen seiner Arbeit. Das jüdische und das christliche kulturelle Erbe treten in seinem Euvre in einen faszinierenden Dialog. Das macht einen wesentlichen Teil des Zaubers und des Geheimnisses seiner Arbeit aus.
Die Person Daniel Libeskind steht für eine Normalität im Austausch, die allerdings erkämpft werden musste. Daniel Libeskind steht für eine konstruktive Auseinandersetzung mit der Geschichte, die nach vorne weist aber dennoch nicht vergisst, was geschehen ist. Denn: Die Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus ist unabschließbar und muss von Generation zu Generation als fortwährender Prozess erneuert werden.
Nur eingedenk dieses Wissens ist Versöhnung möglich.
Bevor er Architekt wurde, hat Daniel Libeskind Musik studiert. Vielleicht deswegen haben seine Entwürfe entgegen der funktionalen, aseptischen Kühle vieler zeitgenössischer Bauwerke etwas Poetisches und ja: Leidenschaftliches an sich. Mir scheint es, als widerlegten Libeskind-Gebäude eine vom Rockmusiker Frank Zappa überlieferte Behauptung. Der sagte einmal: „Über Musik zu reden ist wie über Architektur zu tanzen“ und meinte damit natürlich: Über Musik zu reden ist genauso sinnlos wie über Architektur zu tanzen.
Aber vielleicht kann man ja doch über Architektur tanzen?! Vielleicht kann man das dann, wenn sie uns so körperlich berührt und trifft wie Musik das tut. Die Architektur von Daniel Libeskind schafft genau dies ein ums andere Mal. Und so ist es bestimmt kein Zufall, dass Daniel Libeskind seine Entwürfe am liebsten auf Notenpapier zeichnet.
Die Botschaft des Architekten Daniel Libeskind ist deshalb eine zutiefst optimistische. Denn er vertraut in die Menschen und er vertraut in ihre Freiheit. Er vertraut in das, was wir, die Besucher, mit seinen Gebäuden anzufangen wissen. Daniel Libeskind baut für die Menschen und nicht für eine abstrakte Idee. Geniekult und Größenwahn sind hinreichend bekannte chronische Leiden so mancher Architekten. Daniel Libeskind ist dagegen zum Glück immun. Er setzt seine Gebäude nicht einfach in die Welt, sondern beschäftigt sich mit dem Umfeld, dem Leben der Menschen am jeweiligen Ort und er betreibt historische Spurensuche. Darin kommt eine tiefe Ehrfurcht vor dem Gewachsenen – vor dem, was schon da ist – zum Ausdruck. Bei aller Originalität seiner Ideen verzichtet Daniel Libeskind auf jede Machtpose. Vielmehr ist er jemand, der die Schätze unserer kulturellen Traditionen birgt und – in geradezu zärtlicher Zuwendung - etwas Neues aus ihnen gestaltet.
Seine Gebäude sollen sich einfügen und für die Menschen da sein, ihnen zum Freund werden. Dieses demokratische und demütige Verständnis von Architektur hat sicherlich etwas mit der totalitären Erfahrung zu tun; Daniel Libeskind hat seine Kindheit im kommunistischen Polen verbracht. Dass Gebäude sich nicht dem öffentlichen Raum aufoktroyieren müssen, hat er nicht zuletzt bei der Planung der Neubebauung von Ground Zero in New York gezeigt. Beil allen aktuellen Schwierigkeiten dieses Projekts wurden dort die Bürgerinnen und Bürger in einer in der Architekturgeschichte wohl einmaligen Weise in den Planungsprozess mit einbezogen.
Der angesprochene Größenwahn vieler Architekten bringt es ja oftmals mit sich, dass Nachhaltigkeit für sie nicht mehr als ein anderes Wort für Protzigkeit ist. Nachhaltig ist, was auffällt - und sei es unangenehm. Daniel Libeskind sieht das zum Glück anders. In seiner Autobiografie erzählt er, wie in dem israelischen Kibbuz, in den er mit seinen Eltern und seiner Schwester von Polen gezogen war, grüne Architektur kennengelernt hat. Schon früh begann er dort, sich mit Ökologie und Ressourcenmanagement auseinanderzusetzen. Bis heute legt er großen Wert auf den schonenden Umgang mit natürlichen Ressourcen und Materialien und auf eine ökologisch korrekte Bauweise.
Deshalb konnte ich mich halbwegs mit „Crystals“, dem neuen Einkaufszentrum des CityCenters Las Vegas, anfreunden. Dieser Prunkbau von Daniel Libeskind wurde im vergangenen Dezember eröffnet. „Crystals“ ist das größte Gebäude der Welt, welches das Gold-Prädikat für umweltfreundliches Design bekommen hat - ob da auch der Flächenverbrauch konsequent berücksichtigt ist, lasse ich mal dahin gestellt… Und auch Kunst und Kultur kommen in dem Gebäude vor. Aber davon ganz abgesehen sollte auch ich mich an die Regel halten: Daniel Libeskind-Architektur muss man – körperlich! - erfahren haben, bevor man sich ein abschließendes Urteil erlaubt.
Die Woche der Brüderlichkeit ist so denn auch der richtige Ort, um mit Daniel Libeskind einen großen Menschen zu ehren. Und es ist zugleich eine Ehre für die Woche der Brüderlichkeit, Daniel Libeskind als einen versöhnenden Grenzgänger zwischen jüdischer und christlicher Kultur würdigen zu können.
Deshalb lassen Sie mich jetzt nur noch sagen: Sehr geehrter Herr Libeskind, ich gratuliere Ihnen ganz herzlich zur Buber-Rosenzweig-Medaille 2010. Ich glaube, ich spreche im Namen aller, wenn ich mir noch viele von Ihnen realisierte Gebäude wünsche!
Es gilt das gesprochene Wort!